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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wahrgenommen werden.‹ Er suchte uns zu verdeutlichen, wie sich Berkeley das vorstellte, so nämlich, daß, was nicht wahrgenommen werde, auch nicht existiere. Die Bilder der städtischen Gemäldesammlung zum Beispiel, führte er aus, sind nach Berkeley des Nachts, solange diese Sammlung geschlossen ist, nicht vorhanden.«
    Wiesener schaute auf das Porträt. Lächelte Lea? Existierte Leas Lächeln? Er brauchte es nur nicht wahrnehmen zu wollen, und es existierte nicht. Existierte Leas Lächeln für den Parteigenossen? Eine Idee zuckte in ihm auf, war sie kühn, oder war sie nur frech? Auf alle Fälle war sie geeignet, zu bewirken, daß Heydebregg auch in Zukunft genötigt sein wird, an ihn zu denken.
    »Hören Sie, Parteigenosse«, bat er, »ich habe eine Bitte. Wie wäre es, wenn Sie das Bild mitnähmen? Dann ›existierte‹ es. Das Bild ist ein Kunstwerk, und es wäre mir sehr tröstlich, zu wissen, daß ein Stück meiner Vergangenheit in Ihren Händen ruht statt auf dem Speicher.«
    Wieder schwieg Heydebregg eine Weile, sein lähmendes, steinernes Schweigen; Wieseners Herz schlug so laut, daß erglaubte, der andere müsse es hören. »Sie haben viel Vertrauen zu mir, Parteigenosse«, sagte schließlich Heydebregg. Mehr sagte er nicht.
    Am nächsten Morgen, schon vor dem Mittagessen, waren Heydebreggs Koffer gepackt und auf dem Weg zur Bahn; er sollte erst am Abend fahren, doch umständlich und korrekt, wie er war, liebte er es, alle Vorbereitungen rechtzeitig zu treffen.
    Müßig saß er in dem blauen Salon des Hotels Watteau, der merkwürdig kahl wirkte, nun alles Persönliche, das Heydebregg hineingestellt hatte, entfernt war. Er hätte ausgehen können, noch ein wenig durch die Stadt Paris bummeln. Er zog es vor, auf einem der kleinen, gebrechlichen Stühle sitzen zu bleiben und zu warten. Er rief sich das Gespräch zurück, das er mit Wiesener vor dem Bild der Madame de Chassefierre geführt hatte. Wiesener hatte seine Antwort für ein Ja nehmen können oder für ein Nein. Wie hatte er selber, Heydebregg, gewünscht, daß Wiesener sie deute?
    Er saß und wartete. Gegen Mittag erschien der Diener Arsène. Er überbrachte im Auftrag Monsieur Wieseners eine Bilderkiste.
    Der Diener Arsène, bevor er nach Hause ging, genehmigte sich in der kleinen Bar des Hotels Watteau einen Whisky. Er war mehr als einverstanden mit der neuen Phase seines Herrn. Endlich gab man sich als der Grandseigneur, der man war. Endlich war man die Jüdin los.
    Heydebregg unterdes mit seinem weißlich stumpfen Blick starrte auf die Bilderkiste. Er mußte sich beherrschen, um sie nicht zu öffnen. Er beschloß, sie mit ins Coupé zu nehmen.
    Er hatte sich verbeten, daß irgendwer an den Zug komme außer Wiesener. Beide waren sie sehr rechtzeitig da. Der Träger reichte das Gepäck ins Schlafcoupé, erst die Bilderkiste, dann einen kleinen Suitcase. Wiesener sah zu, wie die Bilderkiste im Netz verstaut wurde. Doch weder er noch der Parteigenosse sprachen über das Bild.
    Man verabschiedete sich herzlich. »Ich denke, man wird sich ab und zu am Telefon sprechen«, sagte, unmittelbar bevor sich der Zug in Bewegung setzte, Heydebregg. »Und wann wird man sich wiedersehen?« fragte Wiesener. »Nach dem Krieg, beim Einzug in Paris«, erwiderte, schon einige Meter entfernt, der Parteigenosse.
22
Die Jungfrau von Orléans
    Es war noch früh am Abend, Wiesener hätte noch allerlei unternehmen können, aber er fuhr nach Haus. Er zieht es vor, zu arbeiten. Er wird diesen Artikel über die Jungfrau von Orléans vorbereiten, der ihm seit langem vorschwebt.
    Er ging auf und ab durch Arbeitszimmer und Bibliothek, wie er es gewohnt war, wenn er sich sammeln wollte. Aber es gelang ihm heute nicht, sich zusammenzureißen. Jetzt also fährt Lea nach Berlin. Komisch, er hat doch sonst keine mystischen Anwandlungen: aber solange das Bild da an der Wand hing, ist ihm gewesen, als könnte er mit Lea reden. Jetzt hat er Lea dem Nilpferd überantwortet. Jetzt erst ist er der richtige Maquereau. Es ist ein verteufelter Handel. Er hat sich gewissermaßen dem Teufel verschrieben.
    Er stellte sich vor, wie der Parteigenosse das Bild auspacken, wie er es in seine scheußlichen, ungeschlachten, weißen Hände nehmen wird. Er sah den Parteigenossen vor dem Bild sitzen, in der Haltung einer ägyptischen Königsstatue, und Lea aus seinen weißlichen Augen anstarren. Er sah es deutlich, lange, in jeder Einzelheit. Pfui, es ist degoutant. Es ist unsittlich.
    Zu albern, daß

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