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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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an, ihm die Arbeit zu erleichtern. Erlaubte er sich ab und zu eine seiner sarkastischen Anmerkungen über ihren Eifer, dann behandelte sie ihn nur schlechter, und er war schnell genötigt, wegen seines unziemlichen Spottes Abbitte zu leisten.Ihm aber war das recht. Er hatte auch in London bereits ein paar überraschende Kunststücke zuwege gebracht, er behandelte seine englischen Patienten wie seine früheren, man fand ihn in London so bezaubernd wie in Paris und in Berlin. Er hatte alles, was er begehrte. Er konnte sich nach Herzenslust überarbeiten, seinen Patienten jeden Preis abfordern, der ihm gut dünkte, sich von Witwe Blackett nach Belieben ärgern lassen und, dem Zug ihres und seines guten Herzens folgend, große Summen für bedürftige Emigranten ausstreuen.
    Daß sich Monsieur le Baron wieder bei ihm einstellte, erfüllte ihn mit tiefer, grimmiger Befriedigung. Er hatte seinerzeit falsch daran getan, diesen Menschen von seinem Leiden zu befreien und durch seine Kunst zu verschönern. Dunkel ahnte er, daß zwischen jener Zahnbehandlung und der Entführung Friedrich Benjamins Zusammenhänge bestanden. Greifbare Beweise hatte er natürlich nicht, aber unbehagliche Vermutungen. Als er dann von dem Attentat auf Gehrke und von der Art seiner Verwundung gelesen hatte, war sogleich eine Ahnung in ihm aufgestiegen, jetzt könnte sich Monsieur le Baron ein zweites Mal bei ihm einstellen. Eine Ahnung, eine Hoffnung. Denn nachdem diesem Gehrke auch jetzt wieder das Unheil zum Segen ausgeschlagen und er zum Helden, zum Blutzeugen, zu einer Art Nachfolger des Horst Wessel aufgerückt war, sehnte sich Doktor Wohlgemuth danach, es dem Burschen einmal tüchtig zu besorgen. Er träumte davon, was alles er ihm sagen werde. Und als jetzt Herr von Gehrke wirklich in sein Ordinationszimmer trat, da war es Wohlgemuth, als wären es seine Wünsche und Träume gewesen, die ihn herbeigezogen.
    Da hatte er also richtig diesen maßlos frechen Menschen, diesen Repräsentanten des verhaßten Regimes, diesen Mann des Unheils wieder auf seinem Operationsstuhl. Er hieß ihn den Mund aufsperren; es war, wie er sich’s gedacht hatte: er, Wohlgemuth, mit seiner goldenen Schienung hatte dem Unhold das Leben gerettet. »Danke«, sagte er trocken, »Sie könnenIhren werten Mund wieder schließen.« – »Wie ist das?« fragte gespannt, doch mit gespieltem Gleichmut Gehrke. »Kann man was machen?« – »Man nicht, ich vielleicht«, erwiderte der Doktor. »Man müßte Teile des Kiefers durch Platinprothesen ersetzen; es wäre eine Arbeit, die vom Arzt sowohl wie vom Patienten viel Geduld verlangt. Und es wäre überdies kein sicherer Erfolg.« – »Ja«, antwortete Gehrke, »es ist schade, daß die mühevolle Frucht von unser beider Geduld wieder zerstört worden ist.« – »Immerhin hat unsere Schienung Ihnen gewissermaßen das Leben gerettet, Monsieur le Baron«, meinte Wohlgemuth. Spitzi, schräg vom Operationsstuhl aus, schaute ihn an. Die lange Reiterfigur Wohlgemuths, seine knarrende Stimme, sein gescheites, markantes Gesicht, das alles war ihm in der Erinnerung sympathischer vorgekommen, als er es jetzt in der Wirklichkeit fand.
    »Ja, in Ihrem Mund ist allerlei zerstört worden, Monsieur le Baron«, erwiderte mittlerweile nachdenklich, verhalten Doktor Wohlgemuth, »aber im Anschluß daran in Deutschland noch viel mehr.« Es hatten nämlich die Nazi das Attentat zum Vorwand genommen, eine neue, scharfe Hetze gegen die Emigranten zu beginnen und deren Verwandten »zur Strafe« noch brutaler auszubeuten und zu mißhandeln. »Gewissen harmlosen Angehörigen gewisser harmloser Emigranten«, konstatierte denn auch Doktor Wohlgemuth, »hat man daraufhin nicht nur den Kiefer zerschlagen. Meine Herren.« Auf diese geschmacklose, sentimental pathetische Anspielung zuckte Spitzi nur die Achseln.
    »Da sich unsere Wege nochmals kreuzen«, sprach unterdes mit schnoddriger Gehobenheit der Doktor weiter, »gestatten Sie mir eine Frage: kennen Sie die Geschichte von Mardochai und dem Reichskanzler Haman?« Herr von Gehrke kannte die Geschichte nicht. »Auch der Reichskanzler Haman«, erläuterte Wohlgemuth, »hat gegen Mardochai und seine Leute allerlei scheußliche Dinge geplant. Unter anderm hat er einen besonders hohen Galgen errichten lassen, um den Mardochaidaran aufzuhängen. Aber am Ende hing er selber an diesem Galgen.«
    »Es ist möglich«, gab friedfertig mit seiner rostigen Stimme Spitzi zu, »daß unsere Konzentrationslager einmal von

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