Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Dankbarkeit so maßlos, daß er fürchtete, es werde ihn der Schlag treffen. Im nächsten Augenblick sagte er sich, er sei also doch ein guter Kopf und habe alles großartig gelenkt, um Hindele, sein Kind, zu retten. Auch sagte er sich, daß also Gott dennoch wohl mit ihm einverstanden sein müsse, sonst wäre diese verzweifelte Geschichte nicht so gut hinausgegangen. Endlich sagte er sich, das könne alles stimmen, was Hindele, sein Kind, da vorbrachte, aber depeschieren hätte sie trotzdem können. Laut sagte er: »Also, da bist du, Gott sei gelobt und gedankt. Setz dich, mein Kind. Helft ihr doch, man sieht doch, wie herunten sie ist. Weißt du, Hindele«, fuhr er fort, »ich will dir ja keine Vorwürfe machen, wo du in so erbarmungswürdigem Zustand bist. Aber eines muß ich dir doch sagen: etwas so Leichtfertiges, Herzloses, Schamloses ist mir mein ganzes Leben lang noch nicht vorgekommen. Hast du denn keinen Augenblick an deinen armen, alten Vater gedacht? Bist du denn ganz zur Gojte geworden unter deinen Gojim?« Aber Hindele hatte das nicht mehrgehört. Sie lag hintübergesunken, Melanie und Ruth hatten sie aufgefangen, ihre Augen waren zu, und sie war totenblaß. Herr Gingold aber schrie und tobte: »Seid ihr denn zu gar nichts zu brauchen? Bringt sie doch zu Bett. Telefoniert doch. Telefoniert doch dem Arzt.«
Man tat nach seinen Worten. Der Arzt kam, er gab Frau Ida Perles eine Spritze. Sie schlief vierzehn Stunden hindurch. Ab und zu schlich sich das eine oder andere Familienmitglied ins Zimmer, am häufigsten Herr Gingold selber. Auf Zehenspitzen kam er, gleichwohl knarrend, und beschaute sie; gierig und innig spähte er durch seine Brille. Manchmal nahm er wohl auch die Brille ab, ging ganz nah an die Schlafende heran, beugte sich zu ihr hinunter, hörte ihre Atemzüge und betastete vorsichtig mit seinen harten Fingern die Haut ihres mager gewordenen Gesichtes.
Wenn man am andern Morgen Herrn Gingold gesagt hätte, er habe einmal bedenkliche Geschäfte mit den Urbösen gemacht, dann hätte er das mit Entrüstung zurückgewiesen, überzeugt von seinem Recht. Natürlich hat er die Gelegenheit, mit Gellhaus & Co. Geschäfte zu machen, nicht ungenutzt vorbeigehen lassen; er wäre ein schlechter Kaufmann, wenn er sie nicht wahrgenommen hätte. Aber die Welt hat, wie das ihre Art ist, diese harmlosen, vollkommen unpolitischen Geschäfte übel mißdeutet und ihm, dem Unschuldigen, das schlimmste Unrecht zugefügt.
Als dann nach drei Tagen auch Benedikt Perles eintraf, vergaß Herr Gingold noch tiefer, was sich ereignet hatte. Und sehr rasch wird er vollends vergessen haben, welch schwerer Sünden er sich einmal im Zwiegespräch mit Gott bezichtigt hat. Im Winter, am Chanukkafest, am Fest zur Erinnerung an die Wiedereinweihung des von den Syrern geschändeten Tempels, wird er mit den Seinen die Öllichter anzünden, die acht Tage des Festes hindurch, jeden Tag ein Lichtchen mehr, er wird fröhlich die Hymne des Dankes und der Befreiung singen: »Du fester Fels meines Heils«, er wird seinen Kindern Geschenke machen, wie es der Brauch vorschreibt, undzu Hindele wird er sagen: »Du hättest eigentlich was ganz anderes verdient«, und wird sie noch reicher beschenken als die andern. Und alles, was mit den »P. N.« zusammenhängt, seine Verhandlungen mit der Firma Gellhaus & Co. und die Folgen, wird für ihn zu einem Traum geworden sein.
Im Traum allerdings wird ihm noch manchmal Herr Leisegang erscheinen, und im Traum wird er noch zuweilen zerrissenen Herzens und in schrecklicher Hilflosigkeit in einen Telefonapparat hineinsprechen oder, im Zwiegespräch mit Gott, sich zerdrückt fühlen von der ungeheuren Last seiner Schuld. Der wache Herr Gingold indes wird höchstens einräumen, daß es eine Zeitlang gewisse Mißverständnisse gegeben habe. Schließlich aber hat er ja alles mit kluger Überlegenheit zum guten Ende gelenkt, und wenn die »P. D. P.« blüht, so wird das eigentlich sein Verdienst sein. Und er wird tief einverstanden sein mit sich, mit Gott, mit der Welt und mit dem Schicksal.
24
König in Unterhosen
Unter den Objekten, die Wieseners Agent ihm anbot, fand sich das Haus an der Rue de la Ferme.
Wiesener war verblüfft. Er kannte Leas wirtschaftliche Verhältnisse; es war höchst unwahrscheinlich, daß sie plötzlich gezwungen sein sollte, das Haus zu verkaufen. Ihm wäre es beinahe lieb gewesen, wenn sie durch irgendeinen Zufall ihr Vermögen verloren hätte. Schon sah er mit rascher
Weitere Kostenlose Bücher