Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
weithin über graue, silbrig leuchtende Dächer. Strahlend vor ihm liegt die schöne Stadt Paris. Erich Wiesener ist zufrieden mit sich, Paris und der Welt und läßt seine Gedanken spazierengehen.
Eine angenehme Vorstellung ist es nicht, daß Fritzchen Benjamin im Columbia-Haus oder in irgendeiner ähnlichen scheußlichen Anstalt sitzt. Ein Ferienaufenthalt ist es bestimmt nicht für den schwächlichen Menschen mit dem jüdischen Gesicht. Aber Fritzchen hätte sich eben rechtzeitig sagen müssen, daß es mit seinen sinnlosen, hysterischen Hetzartikeln auf die Dauer nicht gut gehen kann. Wer sich den Spaß leistet, mit der Macht anzubandeln, wer durchaus den Propheten spielen und predigen will, daß der Wolf mit dem Lamm weiden soll, der läuft in unserer Epoche ein gewisses Risiko. Wie ist das übrigens, wurde nicht auch ein Prophet der Bibel zersägt oder auf eine ähnliche Weise erledigt? Jesajas, glaub ich. Dafür werden seine Essays freilich noch jetzt vielgelesen. Meine Aufsätze werden nach zweitausendsiebenhundert Jahren kaum mehr gelesen werden, aber menschlicher Voraussicht nach werde ich auch nicht zersägt.
Merkwürdig nur und eigentlich ein tragikomischer Witz, daß der Mann, der über die Details der Fememorde soviel herausgekriegt hat, nun seinesteils auf einen so plumpen Schwindel hereingefallen ist. Wenn es darauf ankommt, dann sind häufig gerade diese Siebengescheiten die Allerdümmsten.
In Deutschland bin ich oft mit Fritzchen zusammen gewesen, mit seiner Frau habe ich mächtig geflirtet, soviel ich mich erinnere. Hieß sie nicht Ilse? Nette Frau, hübsch anzuschauen und anzufassen. Ein bißchen versnobt, aber wer ist das nicht? Ich glaube, manchmal bin ich es selber. Wie würde ich mich wohl verhalten, wenn sie jetzt bei mir erschiene, um für ihr Fritzchen zu intervenieren? Wäre mir vor zwanzig Jahren so was passiert, dann hätte ich versucht, sie zu verführen, und wäre mir höchst renaissancehaft vorgekommen. Tosca. Was für unreife Anschauungen hatten wir vor zwanzig Jahren.
Erich Wiesener rekelt sich, genießt wohlig die Wärme des Bettes, den Anblick der Stadt Paris. Er hat es weit gebracht mit seinen siebenundvierzig. Seine Eltern würden sich freuen, wenn sie sähen, was er erreicht hat.
Mit schrägem Blick schaut er hinüber zu dem Frühstückstisch, auf dem die »P. N.« mit dem Artikel Trautweins liegen. Er lächelt tief, seine Befriedigung ist gewürzt mit einer fast gutmütigen Ironie. Franz Heilbrun, sein guter, alter Freund, Feind und Kollege. Vor Hitler gab es vielleicht ein halbes Dutzend deutsche Journalisten, die auch jenseits der Grenzen Geltung hatten. Heilbrun hat dazu gehört. Jetzt kann von diesem halben Dutzend nur mehr er, Wiesener, für Zeitungen innerhalb des Reichs schreiben, die andern, alle zusammen, haben nichts als ihre »P. N.«. Wie schäbig sie ausschauen, ihre »P. N.«, übler als ein kleines Provinzblatt. Arme Teufel, diese Heilbrun und Genossen. Der Lärm, den sie machen, steht inumgekehrtem Verhältnis zu ihrem Einfluß. Sie schreiben für eine Handvoll machtloser, geldloser Emigranten. Wenn sie ihr Material noch so geschickt und wirksam arrangieren und kommentieren, sie erreichen, wenn es hochkommt, vierzig- oder fünfzigtausend Leser. Er, Wiesener, schreibt für dreißig oder vierzig Millionen. Er zuckt die Achseln, lächelt. So sieht ein Mann aus einem Rolls Royce auf Leute, die in einer abgetakelten Pferdedroschke ein Rennen mit ihm starten wollen.
Sie heißen ihn einen Renegaten, eine Kautschukseele. Quatsch. In den Tagen der Weimarischen Republik war seine »Westdeutsche Zeitung« demokratisch, zugegeben. Aber die Herren werden aus seinen früheren Artikeln nicht viel zitieren können, was er heute zu verleugnen braucht. So delikat, so highbrow, wenn man will, er geschrieben hat, die Macht hat er von jeher aus innerer Überzeugung verehrt. Er hat Witterung dafür gehabt, wo Macht ist, und wenn die andern an den Nazi nur das Lächerliche gesehen haben, so hat er von Anfang an durch diese Lächerlichkeit hindurch ihre Kraft erkannt. Darum sind die andern auf die »P. N.« gekommen und er auf den besten Redakteursessel des Reiches.
Vielleicht hat er, wenn man genau hinschaut, in dem einen oder andern Punkt seine Meinung geändert. Aber bedeutet es etwa geistige Stärke, unbelehrbar bei seiner Meinung zu beharren? Wer sich vom Krieg nicht hat belehren lassen, daß eine Wahrheit ohne Macht keine Wahrheit ist, dem ist nicht zu helfen. Da reden sie
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