Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
meinte ich ja, daß die Geschichte euch, pardon, uns noch lange zu schaffen machen wird. Der Artikel ist fundiert, und dieser Trautwein kann schreiben.« – »Stimmt«, gab Spitzi zu, leutselig, von oben herab, »schreiben kann das Gesindel.« – »Was ich kann, Spitzi«, erwiderte sanft Wiesener, »ist auch nichts anderes. Auch ich bin Schriftsteller.« – »Sie, Wiesener?« fragte tief erstaunt Gehrke. »Sie sind ein Herr, und außerdem können Sie schreiben. Aber das da – na schön, das kann schreiben. Glauben Sie ernstlich, daß daraufhin etwas geschehen wird? Wenn dieser, wie heißt er?, Trautwein noch hundert Artikel schreibt, keinen Hund lockt er damit hinterm Ofen vor.« Er sprach lächelnd, beiläufig, hinter seinen sehr roten Lippen zeigten sich die weißen, hübschen Zähne.
Wiesener saß bequem in seinem Sessel und spielte mit der Quaste des schweren, schwarzen Schlafrocks. Was Spitzi da gesagt hat, ist leider oder glücklicherweise goldrichtig. Schreiben hat wirklich nur dann Sinn, wenn man ein Herr, das heißt, wenn man mit der Macht verbündet ist. Aber für die eingestürzte Demokratie, für das bankrotte Völkerrecht schreiben, wie die Heilbrun und Trautwein es tun, das heißt in den Sand schreiben. Er erwiderte indes nichts, sondern wartete ab, ob nicht der andere vielleicht noch mehr aus sich herausgehen werde. »Ich frage mich manchmal«, fuhr denn auch Herr von Gehrke nach einer Weile fort, »warum wohl die Berliner Herren das Geschreibe des Emigrantengesindels so ernst nehmen. Ich glaube, der Grund liegt in den Berlinern selber. Wenn nämlich die Leute vom Propagandaministerium die eigene Tätigkeit gebührend wichtig nehmen wollen, dann müssen sie auch von den Marktschreiern auf der Gegenseite etwas hermachen. Die Journaille der Emigranten«, fuhr er fort undmachte eine leichte, schnippende Bewegung mit der linken Hand. »Die ›Nachrichten‹.« Er hob die Nase, schnüffelte ein wenig, und in dieser winzigen Geste war die ganze Verachtung uralter Herrengeschlechter für die Crapule. »Die ›P. N.‹. Ein paar tausend Juden und Bolschewiken lesen sie und freuen sich, daß man es uns gibt. Schön. Wir haben das Pack mit der Wurzel ausgerissen und auf den Mist geworfen. Da liegt es jetzt und ›gibt es uns‹. Lassen wir dem Pack das Vergnügen.«
Daß Herr von Gehrke Trautweins Artikel so hochmütig abtat, zeigte Wiesener, wie sehr Spitzi getroffen war. Das war interessant. Vielleicht war er selber, Wiesener, tiefer getroffen, als er gemerkt hatte. »Ich glaube, mein Lieber«, sagte er, halb gegen seinen Willen, »die Berliner Ressentiments sind so nicht einfach zu erklären. Sehr maßgebende Herren dort sind Schriftsteller. Keine sehr guten. Das wissen wir beide, aber sie selber wissen es nicht oder wollen es nicht wissen. Wenn sie nun so was lesen«, er deutete auf den Tisch mit den »Nachrichten«, »dann spüren sie, was für Dilettanten sie selber sind. Natürlich werden sie nervös.«
Herr von Gehrke hörte aufmerksam zu. Bildung ist eine gute Sache, aber zuviel Bildung weckt ihm Verdacht. Leute, die sehr gebildet sind, riechen leicht ein bißchen nach Bolschewiki, pflegen sich schlecht, fachsimpeln gern, werden rasch langweilig. Wiesener aber, trotz seines stupenden Wissens, sieht ausgezeichnet aus, hat Manieren, langweilt einen selten. Man kann von ihm lernen. Was er da soeben Psychologisches von sich gegeben hat, das zum Beispiel ist ein nicht zu verachtender Fingerzeig. Es stimmt. Gewisse Berliner Maßgebende können es nicht verwinden, daß zu Zeiten der Weimarer Republik die großen Blätter ihre Artikel zurückgewiesen haben. Zerfressen von literarischem Ehrgeiz, von Rachsucht und Konkurrenzneid, wüten sie jetzt, da sie die Macht haben, gegen alle, die etwas können. Im Reichsgebiet haben sie es leicht. Dort haben sie einfach die Mißliebigen, das heißt die Begabten, verhindert, ihr Werk zu publizieren. Aber sie haben erleben müssen, daß diese Begabten, feig, wie sie sind, sich ihnen entzogen, sich insAusland verdrückten und jetzt dort munter weiterproduzieren. Wenn man den einen oder andern dieser emigrierten Literaten zur Strecke brächte, wäre das ein Dienst, den die Berliner Herren bestimmt zu schätzen wüßten. Er, Spitzi, könnte durch ein Unternehmen solcher Art die Schlappe, die er sich mit der Affäre Benjamin geholt, wahrscheinlich wettmachen, ohne den Bären in Anspruch zu nehmen.
Wiesener seinesteils hatte kaum seine psychologische Anmerkung laut werden
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