Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
lassen, als er sie schon bereute. Zwar lehnte er nach wie vor stolz ab, seine emigrierten jüdischen und sozialistischen Konkurrenten zu bekämpfen; immerhin notierte auch er in seinem heimlichsten Innern, daß man sich gelegentlich in Berlin einen Lobstrich holen könnte, wenn man dort den Skalp eines der Herren vorwiese. Schlau war es bestimmt nicht, den andern auf die Fährte gebracht zu haben. Er hätte seine Psychologie für sich behalten sollen. Gut nur, daß Spitzi faul ist und ohne Ehrgeiz.
Vielleicht, eines Tages, werde ich doch darüber nachdenken müssen, die »P. N.« zu erledigen, notierte sich also innerlich Erich Wiesener. Und: Vielleicht erledige ich einmal diese »P. N.«, notierte sich innerlich Herr von Gehrke. Sogleich aber, nachdem sie es sich notiert, stellten beide dieses Vorhaben zurück. Wiesener mit Rücksicht auf seine Fairneß und die Historia Arcana, Spitzi aus Bequemheit. Er hielt es mit dem Führer: wozu heute eine Entscheidung treffen, die man auf morgen verschieben kann?
Er kam zurück auf den Zweck seines Besuches, wurde sachlich. »In der Rue de Lille«, sagte er, »teilt man meine Meinung, daß es gut wäre, in der deutschen Presse den Fall Benjamin nicht breitzutreten, das heißt, auf das Geschrei der ausländischen Zeitungen nicht zu erwidern. Wir sind der Ansicht, die Welt wird auf diesen Fall reagieren wie auf so viele ähnliche: eine Woche schreit sie, in der dritten wird sie leise, in der fünften hat sie alles vergessen. Aber bevor wir in diesem Sinn nach Berlin berichten, möchten wir gern Ihren Rat hören, lieber Wiesener.«
»Haben Sie keine Sorge, mon vieux«, erwiderte Wiesener. »Ich beurteile die Geschichte kaum anders als Sie.« Er mußte Spitzi eine beruhigende Versicherung geben, er mußte sich mit ihm verhalten. Spitzi hat eine rasche Intelligenz und wird zweifellos Karriere machen. Wenn Spitzi ernsthaft will, wird er den Floh bestimmt fangen können, den er, Wiesener, ihm vorhin unvorsichtigerweise ins Ohr gesetzt hat, und es ist sehr die Frage, ob das in seinem, Wieseners, Interesse liegt.
Als läse Spitzi seine Gedanken, meditierte er laut: »Sie sind ein guter Psycholog, lieber Wiesener, und kennen unsere Berliner Karyatiden bis in die Nieren. Es ist schon so, wie Sie sagen. Die Herren haben wirklich einen dicken literarischen Minderwertigkeitskomplex; ihr Haß gegen die ausgewanderte Konkurrenz und ihre Überschätzung des Einflusses dieser Konkurrenz ist zur fixen Idee geworden. Ausreden können wir ihnen diese fixe Idee nicht, also müssen wir darauf Rücksicht nehmen. Irgend etwas müßte geschehen. Irgendein Ding müßten wir in der Rue de Lille drehen gegen die emigrierten Schreibmenschen. Können Sie uns keinen Rat geben, Wiesener? Sie sind doch Fachmann. Vielleicht kann man diese ›P. N.‹ durch Schikanen mürb machen. Moos haben die Kerle bestimmt nicht. Vielleicht kann man ihnen durch diplomatischen Druck kostspielige Prozesse an den Hals hängen. Sie mokieren sich doch egal über den Führer.« – »Wer tut das nicht?« antwortete Wiesener. »Wenn man da einmal anfängt, müßte man in der ganzen Welt die Gerichtshöfe verhundertfachen. Das sind Wunschträume«, meinte er gemütlich. Spitzi aber, wie ein schmollendes Kind, gab zurück, und man sah, daß dieses Argument ihm aus dem Innersten kam: »Zum Donnerwetter, Herr, wozu haben wir denn dann die Macht?«
Wiesener lächelte nur. Er hätte jetzt nicht einmal mehr vor der Historia Arcana mit Sicherheit erklären können, was er eigentlich wünschte, ob er Spitzi gegen die Heilbrun und Trautwein hetzen wollte oder nicht. Halb gegen seinen Willen gab er vage Richtlinien eines Feldzugsplanes. »Geld haben dieBurschen keines«, meinte er nachdenklich, »da haben Sie sicher recht, das riecht man auf Kilometer. Vielleicht«, er wurde lebhaft, »könnte man beim Verlag einsetzen. Nicht mit Gewalt: mit Überredung. Ich habe ein Gefühl, als ob es klüger wäre, keine Tanks, sondern einen Scheck vorzuschicken. So aussichtslos das wäre beim ›Pariser Tageblatt‹: bei den ›Nachrichten‹ könnte was zu machen sein; ich hab es im Gefühl. In der Rue de Lille ist man doch wahrscheinlich informiert über die finanzielle Basis der ›Nachrichten‹. Sicher liegt da ein Akt. Eigentlich müßten Sie ihn studiert haben, Spitzi«, lächelte er.
Spitzis Nase ging schon wieder hochmütig nach oben. »Informationsdienst gehört leider dazu«, sagte er. »Aber ich bin nun einmal nicht neugierig von Natur.
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