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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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den Mann zu bringen suchten. Es gab Frauen mit Hochschulbildung, die als Verkäuferinnen, Dienstmädchen, Masseusen ihr Brot verdienten.
    Wohin immer diese trüben Gäste kamen, waren sie unerwünscht. Der Erdboden und die Arbeit waren verteilt unter Nationen, unter politische und gesellschaftliche Cliquen. Infolge planloser Produktion und sinnloser Verteilung hungerte ein großer Teil der Bevölkerung des Planeten bei gefüllten Vorratskammern und standen trotz Warenhungers und Arbeiterandrangs viele Maschinen still. Länder, in denen neue, fähige Menschen willkommen gewesen wären, gab es nicht mehr. Vielmehr wurden die fremden Kömmlinge, dieBrot und Arbeit wollten, überall mit scheelen Augen angesehen.
    Man erlaubte ihnen nicht zu arbeiten, kaum zu atmen. Man verlangte »Papiere« von ihnen, Ausweise. Die hatten sie nicht, oder was sie hatten, genügte nicht. Manche waren geflohen, ohne Papiere mitnehmen zu können, die Pässe der meisten liefen allmählich ab und wurden von den Behörden des Dritten Reichs nicht erneuert. So hatten es diese Exilanten schwer, bestätigt zu bekommen, daß sie waren, wer sie waren. Das war manchen Ländern ein gelegener Vorwand, sie abzuschieben. Es kam vor, daß Menschen ohne jegliches Papier eines Nachts von den Gendarmen eines Landes heimlich über die Grenzen des Nachbarlandes und in der nächsten Nacht von den Gendarmen des Nachbarlandes ebenso heimlich wieder zurückgebracht wurden.
    Den wenigsten bekamen die Leiden, die sie durchzumachen hatten. Denn es ist so, daß Leiden nur den Starken stärker, den Schwachen aber schwächer macht. Das alte Deutsch kennt für den Vertriebenen, für den Exilanten, zwei Worte: das Wort »Recke«, das nichts anderes bedeutet als eben Vertriebener, Geächteter, und das Wort »Elend«, das wiederum den Mann ohne Land, den aus dem Land Gestoßenen bedeutet. So bezeichnet die Weisheit der deutschen Sprache die beiden Pole, die das Wesen des Emigranten begrenzen. Unter den deutschen Emigranten wurden die meisten Elende und nicht sehr viele Recken; denn Gesinnung, Prinzipientreue sind Güter, auf die man leichter verzichtet als auf das tägliche Brot und auf die Butter darauf, und wenn es sich darum handelt, Ballast über Bord zu werfen, muß die Moral am ehesten daran glauben. Viele von den Emigranten verkamen. Ihre schlechten Eigenschaften, im Wohlstand versteckt und behütet, drangen zutage, ihre guten schlugen um. Wer vorsichtig gewesen war, wurde feig, der Mutige verbrecherisch, der Sparsame geizig, Großzügigkeit wurde Hochstapelei. Die meisten wurden ichbesessen, verloren Urteil und Maß, unterschieden nicht mehr zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem, ihr Elend wurde ihnenRechtfertigung für Zügellosigkeit und Willkür. Auch wurden sie jammerselig und zänkisch. Aus sicheren Verhältnissen ins Unsichere gestoßen, verzappelten sie sich, wurden frech und servil zugleich, streitsüchtig, anspruchsvoll, besserwisserisch. Sie wurden wie Früchte, die man zu früh vom Baum gerissen hat, nicht reif, sondern trocken und holzig.
    Je ranziger ihre Hoffnung wurde auf Rückkehr in die Heimat oder zumindest in gesicherte Verhältnisse, um so tiefer ließen sie sich fallen. Manchen wurde es zu einer Schande, Emigrant zu sein, sie versuchten ängstlich, es zu verbergen, natürlich umsonst. Andere, gerade weil ihnen nichts blieb als ihr Emigrantentum, trugen es arrogant zur Schau und leiteten immer höhere Ansprüche daraus her. War nicht Hannibal Emigrant gewesen, Dante, Victor Hugo, Richard Wagner, Lenin, Masaryk? Sie vergaßen, daß auch der kleine Weißrusse Maximow zu den Emigranten gehörte, der sich vor dem Montmartre-Lokal Koltschak als Türsteher und Zuhälter betätigte, und Herr Rosenbaum, der einem kunstseidene Krawatten als reinseidene aufzuschwindeln suchte, und Herr Lembke, der damit umging, sich der deutschen Staatspolizei als Spitzel anzubieten.
    Man liebte sie nicht, die deutschen Emigranten, sie mußten, diese Fremden, ihren Umgang zumeist untereinander suchen. Da entlud sich denn häufig ihr Elend und ihre Verzweiflung in läppischem, kleinlichem Gezänk, einer rieb sich am andern, man sah unbewußt im andern das eigene Bild und beschimpfte in der Kleinheit des andern die eigene Unzulänglichkeit. Alle wollten sie das gleiche: Pässe, Arbeitserlaubnis, Geld, eine neue Heimat, am liebsten Rückkehr in die alte, befreite. Doch die Gründe, warum sie das wollten, die Zwecke, wozu, und die Wege, wie sie es erreichen wollten, waren sehr

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