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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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verschieden, und was dem einen herrlich schien, war dem andern ein Greuel. So zerrieben sich durch die ständige Nähe selbst solche, die das gleiche innere Schicksal und die gleichen Ziele hatten, und einer erlebte Enttäuschungen am andern. Es gab Haß, manchmal Todfeindschaft unter denEmigranten, und, mehr oder minder guten Glaubens, verdächtigte einer den andern der Lässigkeit oder der Verräterei an der gemeinsamen Sache.
    Ja, Exil zerrieb, machte klein und elend: aber Exil härtete auch und machte groß, reckenhaft. Das Leben des Bodenständigen, des Seßhaften verlangt und verleiht andere Tugenden als das Dasein des Nomaden, des Freizügigen. Im Zeitalter der Maschine aber, im Zeitalter, da die Maschine den größeren Teil der Bauern überflüssig macht, sind die Tugenden des Freizügigen für die Gesellschaft zumindest ebenso wichtig wie die des Seßhaften und geeigneter für den, der sich sein Leben täglich neu erkämpfen muß. Der Emigrant hatte weniger Rechte als die andern, aber viele Beschränkungen, Pflichten und Vorurteile der andern fielen von ihm ab. Er wurde wendiger, schneller, geschmeidiger, härter. »Walzender Stein wird nicht moosig«, heißt es bei dem alten Sebastian Franck; ein Stein, der bewegt wird, setzt kein Moos an. Was diesem deutschen Schriftsteller offenbar als Vorzug galt.
    Viele engte das Exil ein, aber den Besseren gab es mehr Weite, Elastizität, es gab ihnen Blick für das Große, Wesentliche und lehrte sie, nicht am Unwesentlichen zu haften. Menschen, von New York nach Moskau geworfen und von Stockholm nach Kapstadt, mußten, wenn sie nicht umkommen wollten, über mehr Dinge nachdenken und tiefer in diese Dinge hineinschauen als solche, die ihr Leben lang in ihrem Berliner Büro festhockten. Viele von diesen Emigranten wurden innerlich reifer, erneuerten sich, wurden jünger: jenes »Stirb und werde«, das den Menschen aus einem trüben zu einem frohen Gast dieser Erde macht, wurde ihnen Erlebnis und Besitz.
    An diese Emigranten klammerten sich viele Hoffnungen innerhalb und außerhalb der Grenzen des Dritten Reichs. Diese Vertriebenen, glaubte man, seien berufen und auserwählt, die Barbaren zu vertreiben, die sich ihrer Heimat bemächtigt.
9
In der Emigrantenbaracke
    Die Emigranten verfügten über eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften, ja sogar über eine Tageszeitung, das »Pariser Tageblatt«. Aber als ihr repräsentativstes Organ galten infolge ihres ausgezeichneten und gut dokumentierten kulturpolitischen Teils die dreimal wöchentlich erscheinenden »Pariser Nachrichten«.
    Der Apparat der »Pariser Nachrichten« war unzulänglich, ein Redakteur mußte dort viele Funktionen verrichten, die in größeren Unternehmungen Hilfskräfte besorgten, und Sepp Trautwein litt oft darunter, daß er subalterne Arbeit leisten mußte, die hundert andere auch hätten leisten können. Hatte er dafür seine Musik aufgegeben? Aber dann sagte er sich, auch diese Arbeit sei notwendig und geschehe im Dienst einer großen Sache. Denn so armselig die äußere Aufmachung war, die »Pariser Nachrichten« waren mehr als eine beliebige kleine Zeitung: sie waren die Stimme der deutschen Opposition.
    Diese Opposition aber war das deutsche Volk. Es war die Majorität der Deutschen, die sich auflehnte gegen die regierende Barbarei. Doch diese Majorität war geknebelt, sie konnte nicht schreien. Hier, in den »Pariser Nachrichten«, gewann das deutsche Volk seine Stimme zurück. Es war keine laute Stimme. Dennoch drang sie durch das Getöse, das die Barbaren machten, und die Barbaren konnten sie mit ihrem ganzen riesigen Apparat nicht zum Verstummen bringen. Immer von neuem verkündete die Stimme der lauen Welt, was an Unrecht und Gewalt im Herzen Europas verbrochen wurde.
    Die deutschen Emigranten gar konnten sich die »Nachrichten« aus ihrem Leben kaum mehr wegdenken. Praktische Hilfe brachte ihnen die Zeitung nicht. Aber sie war da, und so brauchten sie wenigstens nicht stumm zu leiden. EinMund war da, der ihre Verzweiflung, ihre Hoffnung, ihren Jammer, ihre Angst, ihren Mut, ihr Elend, ihre Größe in die Welt hinausschrie.
    Sepp Trautwein arbeitete verbissen. Durch alles, was er schrieb, klang die Überzeugung, daß seine gute Sache siegen werde und daß der Zusammenbruch der Barbarei in Deutschland nicht fern sei. Trotzdem ließen die höhnischen Worte, mit denen Oskar Tschernigg in dem scheußlichen Café Zur guten Hoffnung sich über seine Zuversicht lustig gemacht hatte, ihn nicht

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