Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
sie sich zu einer einheitlichen Organisation zusammenschloß. Aber statt ihre Kräfte zu vereinigen, zerfleischten sich die deutschen Emigranten untereinander.
»Kapiert?« fragte Vater Merkle ein zweites Mal, als er Hanns die Situation so weit klargemacht hatte. Ja, jetzt hatte Hanns begriffen, das übrige ergänzte er von selber. Sepp hatte einen guten Namen in der deutschen Opposition, seine Anschauungen erschienen vielen maß- und wertvoll; ihn in eine solche Bewegung einzuspannen war für alle Teile nützlich. »Sie meinen, Vater Merkle«, fragte er also zurück, »ich soll Sepp …?« Er vollendete den Satz nicht. Und Vater Merkle erwiderte lächelnd: »Ja, das meine ich.«
In Hanns arbeitete es. Man sah ihm an, wie die Gedanken hin und her schossen, sich rundeten. Seine bräunlich zarte Haut rötete sich. Die Aufgabe, die Vater Merkle ihm da gestellt hatte, erregte ihn. Da konnte er gleichzeitig seinem Bedürfnis Genüge tun, loszulegen, wenn Sepp gar zu toll daherredete, und für die gute Sache wirken.
Merkle sah froh, wie eifrig der Junge seinen Plan aufnahm. Aber er sprach nicht weiter davon. Vielmehr griff er nach der Zeichnung. »Zu sehr idealisiert«, sagte er, lächelnd. »Nein, nein, so geistig ist der alte Merkle nicht.« Er dachte, wie realpolitisch, schlau, verzwickt, opportunistisch er sich soeben wieder verhalten hatte, als er dem Jungen seine Idee suggerierte. Er hatte Hanns gern und freute sich, wenn er ihm helfen konnte. An sich war es vollkommen gleichgültig, ob die Politik, die Sepp Trautwein und sein Blättchen vertraten, etwas mehr oder weniger bürgerlich war, es blieb eine reine Privatangelegenheit; aber es war gut, wenn der Junge sich einbildete, er arbeite an einer wichtigen Aufgabe, und was immer dabei herauskam, schaden konnte es nicht. Ja, der listige Merkle hatte mit seinem Rat eine ganze Armee Fliegen auf einmal geschlagen.
Er legte die Zeichnung zurück. Der Junge war ein enthusiastischerParteigänger, ruhig und zuverlässig. Er verdiente einen Auftrieb, es war Zeit, ihm ein Stück Zucker hinzuhalten. »Wenn das was wird«, sagte Vater Merkle geheimnisvoll, spitzbübisch, spießgesellenhaft, »wenn eine solche deutsche Volksfront zustande kommt und du dein Teil dazu beigetragen hast, dann haben vielleicht auch deine russischen Studien praktische Bedeutung gehabt.«
Es war aber so, daß Hanns auf Betreiben des Buchbinders angefangen hatte, Russisch zu lernen. Der Weg, der in die Partei und nach Moskau führte, war lang und hart. Hanns glaubte, daß Vater Merkle, obwohl er keine offizielle Funktion bekleidete, bei der Partei Einfluß habe und ihm helfen könne. Zwei-, dreimal hatte er Andeutungen gemacht; doch der Buchbinder hörte nicht recht auf diesem Ohr. Daß jetzt der vorsichtige Mann ihm in Aussicht stellte, er werde sein Russisch vielleicht praktisch erproben können, das bedeutete allerhand, das war ein großer Fortschritt.
Der Alte sprach schon wieder von anderem. »Dieses Prinzip«, sagte er, »mußt du dir merken: wen man nicht bekehren kann, den soll man wenigstens verwerten. Es geschieht in seinem eigenen Interesse. Wenn ein krankes Kind die Medizin nicht nehmen will, muß der Arzt sie ihm mit Schläue eingeben.« Aber Hanns kam nicht so leicht los von dem, was Merkle ihm angedeutet. »Hab ich da recht gehört mit meinem Russisch?« fragte er. Der Alte lächelte nur, listig, gütig, aufmunternd.
Da errötete Hanns noch tiefer. Und während er sonst, da seine Kameraden ihn deshalb aufzuziehen pflegten, sich seines mädchenhaften Errötens schämte, verdroß ihn diesmal seine Schwäche nicht. Vielmehr glänzten seine Augen, der ganze junge Mensch leuchtete. Bei all seiner Gesetztheit hielt es ihn nicht länger auf seinem Stuhl, er sprang auf, er atmete hoch, und schließlich brach er aus, selig: »Das wäre ja großartig. Da legst dich nieder.« Er sagte das aber genauso, wie Sepp es in ähnlichen Fällen zu sagen pflegte, ja, er schnalzte mit der Zunge wie Sepp.
Obwohl Vater Merkle gut Deutsch konnte, verstand er nicht recht, warum er sich niederlegen solle, und Hanns, leicht verlegen, mußte ihm die Bedeutung dieser münchnerischen Worte erklären.
11
Hanns Trautwein wird achtzehn Jahre
Am 29. März hatte das Schweizer Nachrichtenbüro das Ergebnis der Untersuchung des Falles Benjamin veröffentlicht. Schon für den 2. April war eine Interpellation darüber im Schweizer Nationalrat angekündigt. Manche von Trautweins Freunden glaubten, es werde alles im Sand
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