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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Straße, mitten im Verkehr. Es ist die hellerleuchtete Auslage eines Blumengeschäftes, vor der er steht, es blüht und prangt hinter dem Schaufenster, es ist ein großartiger Anblick, und wahrscheinlich war es dieser Anblick, die Übereinstimmung des fröhlichen Fensters mit seinen Gedanken, die ihn hat haltmachen lassen. Aber er hat es mechanisch getan, er schaut zwar hin, aber er sieht nichts von der Pracht. Woran er denkt, was ihn ausfüllt, das ist die Freude, daß er den richtigen Weg gefunden hat.
    Denn so ganz einfach war das nicht. Wohl war damals viel die Rede von der neuen Welt im Osten, aber es war mehr schlimme Rede als gute. Auch Sepp, der ursprünglich ihr Entstehen begrüßt, hatte sich bald enttäuscht von ihr abgekehrt und war seit jener Zeit voll Skepsis und Gegnerschaft.
    Er hat schon unerhörtes Schwein gehabt, daß er Vater Merkle gesichtet hat. Ohne den hätte er sich nie zurechtgefunden.Er erinnert sich gut, wie er den Weg in die Rue de la Croix, den er jetzt so oft geht, zum erstenmal gegangen ist, wie er – er hatte Noten Sepps zum Binden zu bringen – das Atelier des Vaters Merkle zum erstenmal betreten hat. Der alte Buchbinder war wortkarg gewesen. Auch später blieb er wortkarg. Es hat lang gedauert, bis Hanns auch nur entdeckte, daß der Elsässer das Deutsche nicht viel schlechter sprach als er selber. Er ist schon ein Schlaukopf, der alte Merkle, und hat es dick hinter den Ohren. Nie ist er ihm mit direkter Propaganda gekommen, die hätte ihn auch nur abgestoßen. Vater Merkle hat ihn seine Entdeckung alleine machen lassen, er hat ihm nur auf den Weg geholfen.
    Eine Welle von Bewunderung, Freundschaft, Verehrung steigt in ihm hoch, wie er an den Alten denkt. Vater Merkle mit seinen fünfundsechzig ist viel jünger als Sepp mit seinen siebenundvierzig. Und plötzlich verdunkeln sich seine Augen, erstarrt sein Gesicht. Was ist er für ein Dummkopf, was ist er für ein vierkantiges Rindvieh. Seit einem halben Jahr jetzt quält er sich herum mit dem Problem, ob er mit Sepp eine richtige Aussprache herbeiführen soll. Den alten Merkle hätte er um Rat fragen müssen. Längst schon hätte er sich ihm anvertrauen müssen. Es ist nicht ganz leicht, mit Vater Merkle von privaten Angelegenheiten zu reden. Aber wenn sie wichtig sind, und diese Sache ist wichtig, dann ist er immer für einen da.
    Scharf macht er kehrt, wendet sich ab von dem prangenden Blumenfenster, läuft der nächsten Metrostation zu. Jetzt gleich wird er zu Vater Merkle gehen, einen solchen Entschluß darf man nicht auf den nächsten Tag schieben.
    Er war in der Rue de la Croix, er stand vor dem alten Haus, das die Nummer 87 trug. Durchschritt den Hof, sprang rasch die vielen ausgetretenen Stufen des Hinterhauses hinauf, wie jedesmal mit Herzklopfen; jede Begegnung mit dem Alten war ihm eine neue Freude, von jeder erwartete er eine Überraschung, und wenn er oben war, dann fühlte er sich, wiewenn er seinerzeit im bayrischen Gebirg den letzten Schritt zum Gipfel tat, und jetzt wird sich gleich der Ausblick in die Runde öffnen.
    Er stand oben, roch den vertrauten Geruch der Werkstatt. Eine ganz kleine Furcht kam ihn an. Was wird der Alte ihm auflegen? Was er ihm raten wird, er wird es tun.
    Er läutete. Der Buchbinder öffnete selber. Er freute sich sichtlich, als er Hanns sah. Aus dem hinter der Werkstatt gelegenen Wohnraum kam eine Stimme. Den Bruchteil einer Sekunde war Hanns enttäuscht, daß er Vater Merkle nicht allein fand. Aber dann zeigte sich, daß die Stimme aus dem Radioapparat kam, den Vater Merkle nicht abgestellt hatte. Es waren deutsche Worte, die aus dem Apparat schnarrten, eine militärische Stimme hielt eine Ansprache. In peitschenden Sätzen prasselte es von Wehrwillen, Wehrpflicht, Überwindung der Ichsucht. Dem alten Merkle bereitete es grimmigen Spaß, sich immer einmal wieder den idealistisch verblasenen Quatsch anzuhören, mit dem die deutschen Machthaber ihre Raubgier und Brutalität verbrämten.
    Er bedeutete Hanns, sich zu setzen. Er selber, der kleine Mann, ging lebhaften Schrittes durch den weiten Raum, mager, straff, und manchmal unter dem dicken, weißen Schnurrbart schmunzelte er Hanns zu, die hellen, gescheiten Augen leuchteten amüsiert.
    Hanns war eigentlich nicht hierhergekommen, um sich den Schmarrn eines Nazibonzen anzuhören. Sein Bedürfnis, mit dem Alten zu sprechen, wuchs von Minute zu Minute. Dieses damische Radio. Der Nazi scheint mit seiner moralischen Aufrüstung überhaupt

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