Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
verlaufen; sie hatten so oft erlebt, daß die Entrüstung, welche die Gewalttaten des Dritten Reiches hervorriefen, folgenlos blieb und rasch verebbte. Trautwein wollte davon nichts hören. Diesmal darf es nicht so sein, es wird nicht so sein, er läßt sich nicht kleingläubig machen. Mit fieberhafter Spannung wartete er darauf, was die Interpellation in Bern ergeben, was die Schweiz beginnen werde.
Am späten Nachmittag des 2. April erfuhr man in Paris, wie die Interpellation verlaufen war. Ruhig und sachlich hatte die Regierung dargelegt, sie habe Gründe zu der Annahme, daß die Entführer mit Wissen amtlicher deutscher Stellen gehandelt hätten. »Wir haben denn auch«, hatte unter dem Beifall der ganzen Versammlung der Sprecher der Schweizer Regierung weiter erklärt, »durch unsern Gesandten in Berlin eine Note überreichen und mitteilen lassen, daß nach dem Ergebnis unserer Untersuchungen deutsche Behörden von der Entführung verständigt worden sind und an ihr mitgewirkt haben. Wir haben von der deutschen Regierung Wiedergutmachung verlangt.«
Trautwein, als die Meldung den »Nachrichten« telefoniert wurde, strahlte, als hätte er einen großen persönlichen Sieg erfochten. Täppisch, das Blatt mit der getippten Meldung inder Hand, lief er von einem zum andern, schlug den Kollegen auf die Schultern, krähte, jubelte, sagte zehnmal, zwanzigmal: »Jetzt haben wir sie«, und: »Was sagen Sie nachher dazu, Herr Kollege?« Übersprudelnd, sehr münchnerisch, krähte er seinen Jubel heraus, rannte herum, konnte sich nicht beruhigen, sein ganzes Inneres war beflaggt.
Nicht nur Tschernigg, auch viele andere hatten es bezweifelt, daß sich die kleine Schweiz mit dem mächtigen Nachbarn auf einen ernsthaften Streit einlassen werde. Die Note also, die sie jetzt hatte überreichen lassen, war nicht nur ein Bekenntnis zur Vernunft gegen die Dummheit und Brutalität, eine Entscheidung für das Recht und gegen die Gewalt, sie war vor allem auch ein Sieg des Glaubens über den Unglauben.
Sepp Trautwein war bescheiden in seinem Herzen; aber er sagte sich, ein ganz klein wenig habe auch seine Tätigkeit beigetragen zu diesem Erfolg. Er hat also recht daran getan, daß er sich von der Skepsis Harry Meisels so wenig hat anstecken lassen wie vom Nihilismus Tscherniggs, daß er im Exil nichts von seinem früheren guten Mut verloren hat. Die Schweizer Meldung ist ihm eine Bestätigung, daß er sein großes Opfer nicht umsonst gebracht hat. Der letzte Rest der Müdigkeit, die ihn in diesen Wochen schwerer Arbeit manchmal überfallen hat, weicht von ihm. Das Exil hat ihm nichts anhaben können. »Der schwache Mann stirbt, und der starke Mann ficht.« Er fühlt sich frisch, zuversichtlich wie in seiner ersten Studentenzeit. Dabei hat er einen erwachsenen Sohn. Wie alt ist er, sein Hanns? Siebzehn. Nein, morgen wird er achtzehn.
Er lacht, er schnalzt mit der Zunge. Jetzt hat die Schweizer Note ihn auch noch vor einem Versäumnis bewahrt. Denn Geburtstage und dergleichen pflegt er zu vergessen. Heut freut es ihn doppelt, daß ihm Hannsens morgiger Geburtstag eingefallen ist. Das letztemal und das vorletztemal ist er mit leeren Händen dagestanden. Diesmal wird er nachholen, was er früher versäumt hat. Er wird Hanns ein richtiges Geschenk machen. Das ist leichtsinnig. Aber er ist heute so vergnügt, er kann nicht anders.
Er zählte nach, wieviel Geld er hatte. Verdammt wenig. Er pumpte Heilbrun an, die andern, selbst Peter Dülken, den Volontär, der als wohlhabend galt. Entschloß sich, da es immer noch nicht reichte, sogar Gingold um Vorschuß anzugehen. Säuerlich, von Prinzipien redend, gegen die man eigentlich nicht verstoßen dürfe, rückte der mit etwas Geld heraus.
Trautwein schmunzelte. Soviel hatte er schon lange nicht mehr zusammen gesehen. Wenn Anna wüßte, was er vorhat, würde sie ihm ein paar kräftige Bemerkungen hinreiben. Mit Recht. Aber er ging dennoch hin und kaufte, was ihm im Sinn lag, das Geschenk für Hanns. Das Segelboot, das Hanns in München hatte zurücklassen müssen, konnte er ihm freilich nicht ersetzen, und so schön wie das in München zurückgebliebene Mikroskop war dieses hier auch nicht. Aber sehen lassen konnte es sich, und der Bub wird seinen Mordsspaß daran haben.
Und es wurde Abend, und es wurde Morgen, der Morgen des Geburtstags. Ein großer, fetter Gugelhopf war da, auch ein paar kleinere Geschenke hatte Anna vorbereitet. Dann aber rückte Trautwein an, krächzend, übers ganze
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