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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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»Halten Sie es übrigens für ausgeschlossen, daß Ihre Leute ein fait accompli hergestellt haben?«
    Wiesener hatte sich gegen Ende seines Vortrags über Beaumarchais wieder gesetzt, noch saß er da, ein Bein übergeschlagen, in der sichern Haltung des frechen und glänzenden Essayisten. In seinem Innern aber stürzte durch Leas Frage seine ganze rasch und künstlich aufgebaute Überlegenheit ein. Dieser Trautwein hat mit keiner Silbe angedeutet, daß Benjamin etwa erledigt sein könnte; trotzdem hat er, Wiesener, aus Trautweins Sätzen diese Angst und Empörung herausgespürt, sie hat ihn ergriffen, sie hat offenbar auch Lea ergriffen. Dieser verfluchte Trautwein war wirklich ein Musiker, durch den bloßen Klang und Tonfall seiner Worte zwang er einem seine Gefühle auf. Es war aus mit der schönen Ruhe, die nach dem Gespräch mit Spitzi in Wiesener eingezogen war. Wieder hielt er es für durchaus möglich, ja für wahrscheinlich, daß man dasStreitobjekt aus der Welt geschafft hatte. Er mußte dieser Wahrscheinlichkeit ins Auge sehen. Man darf sich nicht drücken vor den Konsequenzen einer solchen Möglichkeit, man muß vorbauen. »Ob ich ein fait accompli für ausgeschlossen halte?« wiederholte er Leas Frage. »Offen gestanden, ich halte es nicht für ausgeschlossen. Solange Ihr Friedrich Benjamin an einem Schreibtisch saß, konnte er zwar sehr frech sein, oder wenn Sie wollen, kühn. Aber wenn ein solcher Mensch sich physisch attackiert fühlt, wenn er ernsthafte Strapazen auf sich nehmen soll – und ein deutsches Gefängnis oder Konzentrationslager ist natürlich kein Sanatorium –, dann macht er leicht schlapp. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, daß Ihr Friedrich Benjamin es vorgezogen hat, Schluß zu machen.«
    »Sie sollten mir«, erwiderte sie, »nicht mit so verlogenem Gerede kommen, von dem man nicht weiß, ob es mehr albern oder mehr unverschämt ist. Das dumme, eisenstirnige Gelüge, das ihr so gern dahermacht, das, lieber Erich, ist an eurer widerwärtigen Politik das Widerwärtigste.« Sie hob die Stimme nicht, sie sprach gelassen und freundlich und schaute nachdenklich zu, wie das Wölkchen Sahne ihren Kaffee verfärbte.
    »Heftige Worte, Lea, heftige Worte«, antwortete Wiesener, er sprach so ruhig und gelassen wie sie selber. »Sie sollten vielleicht solche Artikel wie die dieses Trautwein ein bißchen kritischer lesen. Dann werden Sie finden, daß ein kleinbürgerlich sentimentales Weltbild dahintersteht. Ihr Musiker macht eine recht rührselige Musik. Bleiben Sie doch objektiv. Friedrich Benjamin hat sich gegen die Armee eines mächtigen Staates eine tolle Hetze geleistet. Wer das tut, der nimmt ein gewisses Risiko auf sich. Generäle sind keine Literaten, sie erwidern nicht Gezeter mit Gezeter, sie schlagen zu. Das müßte Ihr Herr Trautwein verstehen. Es ist kein Beweis für seine Fähigkeit, daß er gerade aus diesem Fall einen solchen Salm macht.«
    »Wenn mir recht ist«, erwiderte Lea, »ist in dem Artikel Trautweins mit keinem Wort die Rede davon, daß FriedrichBenjamin erledigt sein könnte. Es spricht nicht gegen Trautwein, es spricht gegen euch, daß man, wenn man hört, jemand sei euch in die Hände gefallen, gleich an Mord denkt.« – »Ich verstehe wirklich nicht, Lea«, antwortete er, »warum Sie heute so aggressiv sind. Der Aufsatz dieses Trautwein hat Sie ganz rebellisch gemacht. Sie sollten das Zeug wirklich nicht lesen.« – »Das kann ich mir denken«, antwortete Lea, ihre blaßroten, schöngeschwungenen Lippen lächelten eher traurig als herausfordernd, »daß Sie es vorzögen, ich läse die ›Nachrichten‹ nicht.«
    »Wir tun dem Blättchen zuviel Ehre an«, meinte Wiesener, und sein überlegenes Lächeln wurde krampfig, »daß wir so viel davon reden. Es ist wirklich nicht wichtig genug. Wenn zum Beispiel wir es für wichtig hielten, und uns geht es schließlich am meisten an, dann hätten wir doch längst Ihrem Trautwein die Möglichkeit abgeschnitten, Artikel zu veröffentlichen wie den, der Sie so bewegt. Wenn wir ernstlich wollten«, schloß er selbstgefällig und unbedacht, »gäbe es hundert Wege, ihn und seine ›P. N.‹ zu beseitigen.« Gerade noch hatte er sich zurückgehalten; um ein Haar hätte er albernerweise »totgemacht« gesagt.
    »Gibt es hundert Wege?« fragte nachdenklich Lea. Und da er nur die Achseln zuckte, fuhr sie fort: »Dann wundere ich mich, daß Sie nicht einen von ihnen beschritten haben.«
    Das Bewußtsein, daß er mehrmals vornehm

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