Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
und großzügig auf den Entschluß verzichtet hatte, das Gesindel von den »P. N.« zu erledigen, daß also Lea ihn unverdient kränkte, empörte ihn. »Sie bedeuten mir viel, Lea«, sagte er, seine grauen Augen glitzerten voll bösartigen Hohnes, sein Mund war spitz und schmal, »aber so viel doch nicht, daß ich gegen die ›P. N.‹ vorginge, einfach weil die Artikel dieses Trautwein auf Sie Eindruck machen.«
»Lieber Erich«, sagte gelassen Madame de Chassefierre, »jetzt weiß ich ganz sicher, daß der Artikel Trautweins Sie tiefer angerührt hat als mich. Seit langem haben Sie sich nicht mehr so à la Boche aufgeführt.«
Er beschimpfte sich innerlich. Er hat sich wirklich wie ein Boche benommen. Sonst passiert ihm das nie. An allem ist der verdammte Trautwein schuld. Man wird ihn nicht los. Er ist wie Sand im Schuh oder, denkt er anzüglich, wie eine zähe Geliebte.
Sie indes, da er schwieg, fuhr fort: »Hören Sie, Erich, ich habe Ihnen nie in Ihre Geschäfte eingeredet. Aber wenn Sie sich jetzt an Trautwein dafür rächen wollen, daß er gut und wirksam schreibt, wenn Sie versuchen sollten, die ›Nachrichten‹ dafür kaputtzumachen, dann fände ich das unfair und kläglich.« Sie sprach sehr leicht, sie saß bequem da, in zierlicher Haltung, sie sprach französisch, aber jetzt, mit einemmal, ging sie ins Deutsche über. »Sie dürfen das nicht tun«, sagte sie, »Sie dürfen mir nicht werden wie Ihre Spießgesellen. Sie sollen nicht auch ein« – sie suchte das Wort – »Schwein werden.«
Wiesener schaute ihr auf den Mund, wie die deutschen Worte, das merkwürdige »Spießgesellen« und das vulgäre »Schwein«, fremdartig, mit ganz leichtem Akzent, zwischen ihren großen, weißen Zähnen herauskamen. Wiewohl die Beschimpfung an Bedingungen geknüpft war, an Voraussetzungen, die nie eintreten konnten, sie traf ihn, das Wort »Schwein« traf ihn, er wurde einen Schatten bleicher, das Wort fraß sich in ihn hinein. Der Gedanke, daß er sich rächen könnte für das, was die »P. N.« ihm antaten, der Gedanke, daß er dieses jämmerliche Blatt totmachen könnte, lag also offenbar sehr nahe, lag nahe wie alle unanständigen Gedanken; denn in jedem von uns liegt ja, wie ein gescheiter General das ausgedrückt hat, der innere Schweinehund ständig auf der Lauer. Das ziemlich dicke Dossier stieg vor ihm auf, das Spitzi ihm übersandt hatte, das Dossier mit den Informationen über die »P. N.«. Die Basis, auf welcher die »P. N.« aufgebaut sind, ist wackelig, dieser Bursche Gingold ist oberfaul, empfänglich für Geld, er scheint nicht gerade sehr gern aus Deutschland emigriert, er kontrolliert dort noch gewisse Unternehmungen, er scheint auch dort noch Familie zu haben, man kanndiese Unternehmungen und diese Familie je nach seinem Verhalten protegieren oder schikanieren. Kurz, einem anstelligen Burschen dürfte es nicht schwerfallen, den Herren Heilbrun, Trautwein und Genossen den Stuhl unterm Popo wegzuziehen. Er aber hat dieser Verlockung widerstanden, er hat sich selber das Privatissimum über Moral, das seine Jüdin ihm da las, schon lange gelesen, er hat den inneren Schweinehund bezwungen und an die Kette gelegt. Das Gefühl, daß sie ihm somit unrecht tat, machte ihn überlegen, fast heiter, und scherzhaft meinte er: »Madame wollen sich als Schutzengel dieser Herren aufspielen? Madame wünschen nicht, daß man diesen Herren auf die Hühneraugen tritt?«
»Nein, ich wünsche es nicht« entgegnete Lea, ihre Stimme klang sehr ruhig, vielleicht ein wenig trockener als sonst, aber ihre Augen waren vor Zorn dunkler geworden, und: »Ich fürchte«, sagte sie, »wenn Sie dergleichen täten, das hätte Folgen auch für unsere Beziehungen. Sie haben, weiß Gott, genug, und die andern haben gar nichts. Ich möchte nicht, daß Sie das Lamm des Armen rauben.«
Wiesener war tief erheitert. »Wie hieß doch«, fragte er »der Autor dieser Parabel vom Lamm? Es war der Prophet Nathan, wenn ich nicht irre. Also, Lea, in dieser Rolle, als Prophet Nathan sind Sie weniger gut. Im Ernst«, er kam ganz nah an sie heran und legte, sehr zart, den Arm um ihre Schulter, »ich habe wahrscheinlich tausend mehr oder minder kleine Lumpereien auf meinem Konto, aber diesmal tun Sie mir unrecht. Ihre Emigranten sind ein abgeschnittener Kopf ohne Körper, sie zucken noch ein bißchen, die Lider klappen noch auf und zu, aber sie sind erledigt. Ich bin wirklich nicht der Mann, dem abgeschnittenen Kopf noch einen Fußtritt zu
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