Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
herabließ? Quatsch. Er kam aus engen Verhältnissen, sein Vater ist ein armer Offizier gewesen. Die Nazi mögen ihn für einen »Herrn« nehmen: diese Frau, welche angestammter Besitz, Erziehung und gesellschaftliche Stellung von Kindheit an zur Dame gemacht haben, läßt ihn immer wieder spüren, wie klein er ist und wie sehr noch heute seine arme Jugend ihn beengt.
Und an allem sind nur diese »Nachrichten« schuld. Wenn Lea sich über ihn lustig macht, dann ist das nichts als unbewußte Rache für das, was die Berliner Trottel angestellt und was dieser Trautwein so ins Licht gerückt hat. Dieser Trautwein, das verfluchte Schwein. Wohin man kommt, stößt man auf ihn.
Es war wohl wirklich so, daß Trautweins Aufsatz Lea angerührt hatte. Zwar wußte sie, daß Erich, wenn er auf seiten der Macht und des Erfolges bleiben wollte, nicht anders handeln konnte, als er tat, und einfach dadurch, daß sie nicht mit ihm brach, hatte sie sich im Prinzip mit ihm einverstanden erklärt. Allein sie hatte Sinn für die Schwingungen eines Wortes, für die Untertöne eines Satzes, und so waren wohl in ihr, als sie Trautweins Artikel las, jene Bilder aufgestiegen, dieder Autor hatte aufsteigen machen wollen, und es war in ihr eine Stimme wach geworden für Friedrich Benjamin und gegen Erich, den Advokaten seiner Vergewaltiger. Gewiß, in der Theorie billigte sie diesen Erich Wiesener: jetzt aber, im Fall Benjamin und in diesem Augenblick, da sie Erichs Birne schälte, mißbilligte sie ihn.
Er sah ihr zu. Er beschaute ihre Nase, die groß, fleischlos, mit breitem Nasenbein aus ihrem zartfarbenen Gesicht heraussprang. Er hatte in der Historia Arcana für diese Nase manches bösartige Adjektiv gefunden, doch er konnte nicht hindern, daß sie ihm gefiel, sie gab ihrem schmalen, anmutigen Kopf Charakter, Intelligenz. Allein er wollte nicht, daß Lea ihm gefalle. Er richtete den Blick auf die Hände, mit denen sie die Birne schälte, er sah das kleine, silberne Messer, sah die sich ringelnde gelb und braune Haut der Birne, und er sah, die Haut der Hand war keineswegs so frisch wie die der Frucht. Er sah höher hinauf, betrachtete eingehend die Fältchen an ihrem Hals, unter ihren lebendigen, grünblauen Augen. Er wußte, wie sorgsam sie sich pflegte, und es war ihm ein kleiner Triumph, daß man gleichwohl wahrnahm: sie war die Jüngste nicht mehr. Eine alternde Jüdin, dachte er voll Ingrimm, und sie will noch Zicken machen.
Man ging in die Bibliothek hinüber, dort den Kaffee zu nehmen. Jetzt gerade wollte er ihr zeigen, wer er war, wollte er vor ihr glänzen. Die kleine Tasse in der Hand, ging er auf und ab und erzählte von seinem »Beaumarchais«. Er war, wenn ihm daran lag, ein glänzender Improvisator. Heute lag ihm daran. Er verbreitete sich darüber, wie sich wohl Beaumarchais verhielte, wenn er als Deutscher und in unserer Zeit geboren wäre. Natürlich wäre er rechtzeitig zu den Nazi gegangen, er hatte immer Flair gehabt für das, was in der Luft lag, er hätte mitgeholfen, ihren Sieg vorzubereiten. Figaro wäre ein junger Sturmtruppler geworden, der Graf einer von den Weimarer Bonzen, und auf solche Art hätte Beaumarchais der Welt frech, kühn und amüsant beigebracht, was an den Theorien des Dritten Reichs gesund und zukunftsträchtig war.
Madame de Chassefierre, erst skeptisch, hörte mehr und mehr amüsiert zu. Das war der Erich, den sie liebte. So war er, als sie ihn damals hatte kennengelernt, in Genf, und als sie sich besinnungslos, über alle äußeren und inneren Bedenken hinweg, in die Liebschaft mit dem Deutschen hineingeworfen hatte. Sie hörte ihm zu, sie lachte, nichts mehr von spöttischer Skepsis war in ihren Augen; Wiesener wußte, er hat es geschafft, jetzt ist die Stimme verstummt, die sich in ihr gerührt hat, als sie den Artikel dieses Trautwein las.
In der Gewißheit seines Sieges setzte er noch einen frechen Trumpf auf seine Improvisation. »Mein Beaumarchais«, sagte er, »wenn der an Stelle Ihres Trautwein geschrieben hätte, dann wäre der Artikel anders ausgefallen.«
Aber damit hatte er sich zu weit vorgewagt. Mit einem Schlag hatte er selber die Verzauberung gelöst, die er heraufbeschworen hatte. Der heitere Glanz ihres kostbaren, mattfarbenen Gesichtes erlosch, ihre Augen nahmen jenen feuchten, jüdisch sentimentalen Schimmer an, der ihm unbequem war, weil es so schwerhielt, sich ihm zu entziehen. »Das hätten Sie besser nicht gesagt, Erich«, meinte sie. Und, nachdenklich, fragte sie:
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