Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
als einen Reiz mehr. Zu blöd, daß er jetzt so plump und barsch reagiert hat. Schlank, damenhaft saß sie da, das mattfarbene Gesicht ein bißchen erstaunt, doch eher erheitert. »Trautweins Dreigroschenartikel«, meinte sie, »scheint Ihnen doch imponiert zu haben, Erich.«
Da er es nicht zugeben wollte, daß dieser Aufsatz die Ursache seiner schlechten Laune war, verbreitete er sich darüber, wie schwer es einem die Berliner Herren machten. Diese freche, läppische Antwort auf die Schweizer Note. Lea wisse nicht, wie sehr er sich immerzu abrackern müsse, das wieder einzurenken, was ein paar vielmögende Dummköpfe schlecht gemacht hätten.
Lea hörte höflich zu. Sie war nicht klein, aber dem stattlichen Wiesener gegenüber wirkte sie zierlich. Auch ihr Kopf, trotz der großen, fleischlosen Nase, wirkte schmal und anmutig vor dem massigen Gesicht Wieseners. Sie widersprach nicht, aber sie ließ merken, daß sie ihn durchschaute. Sie wußte, was sie wußte. Sie hatte sich damit abgefunden, daß er mit den Nazi heulte, sie verstand es, wenn er sich zum Evangelium der Macht und des Erfolgs bekannte. Allein das hinderte sie nicht, zuweilen ihre Heiterkeit zu zeigen über die kunstvollen Tänze, die ihr Erich aufführen mußte, um bei dieser ebenso frech und dummen wie erfolgreichen Komödie mitzutun. Es war begreiflich, wenn ihn der Neid ankam auf einen Mann wie diesen Trautwein, der für eine so gute, wirksame Sache schreiben durfte, während er selber genötigtwar, Tölpelhaftigkeit und Torheit als hohe Politik hinzustellen.
Daß sie ihn so genau durchschaute, kratzte ihn. Wer von ihnen beiden war denn der bessere Teil? Damals, als er sie, in der Schweiz, zum erstenmal getroffen hatte, als sie, die schöne französische Aristokratin, mit ihm, dem Deutschen, während und trotz des Krieges ihre romantische Liaison begann, als sie sich gegen so viele äußere Widerstände zu ihrem Gefühl bekannte und danach handelte, war das sehr tapfer gewesen, damals war sie die Gebende gewesen, er der Nehmende. Heute aber gehörte auch von seiner Seite Opferwille dazu, »Einsatzbereitschaft«, an diesen Beziehungen festzuhalten. Leas Mutter war eine geborene Reinach, Tochter einer elsässischen Judenfamilie, und so angesehen diese Familie in Frankreich war, vom deutschen Standpunkt aus war Lea dadurch bemakelt. Natürlich wußte Erichs klarer Verstand, daß dieser »Makel« für die zivilisierte Welt mit Recht ein Hirngespinst war. Allein wenn man wie er Gedankengänge, noch so aberwitzige, Tag für Tag verteidigen muß, dann ist es schwer, sich selber am Schluß von der Ansteckung frei zu halten. In seinem heimlichsten Innern also glaubte er, und zwar vor allem dann, wenn sie ihn kränkte, er sei ihr durch seine Geburt überlegen, und er kam sich gnädig vor, wenn er weiter zu ihr hielt.
In der Historia Arcana hat er wieder und wieder diese seine Liebschaft analysiert. Er hat viele Frauen gehabt, sie fliegen ihm zu, und er ist kein Kostverächter. Wie kommt es, daß unter so vielen Bindungen nur die mit Lea sich als dauerhaft erweist? Dabei sind doch die Beziehungen zu Lea eine ständige latente Gefahr für seine Geltung in der Partei, Leas spitze Reden fressen an seiner Selbstachtung, jung ist sie auch nicht mehr, und sie macht mit schwindender Jugend nicht etwa weniger, sondern mehr innere Ansprüche. Warum zum Teufel nimmt er das hin? Ist es vielleicht das in den letzten Jahren hinzugekommene Bewußtsein des »Sündhaften«, was ihm die Frau gerade jetzt, da ihre Reize durch Gewöhnung und Alternachzulassen beginnen, von neuem verlockend macht? Angebetet und blutig verhöhnt hat er sie auf den Seiten der Historia Arcana, selbstgefällig hat er sich gefreut an dem tiefen Gefühl, das er für sie aufbringen kann, und wüst hat er sich wegen seiner Hörigkeit verspottet. Scharf hat er wahrgenommen und notiert, wie fremd sie ihm ist, keine ihrer großen und kleinen Schwächen hat er übersehen. Wahrscheinlich ist es gerade dieses andere, das Gallische an ihr und der jüdische Einschlag, was ihn immer wieder anzieht.
Gedanken und Gefühle solcher Art waren in ihm, während er von den Schwierigkeiten erzählte, mit denen er sich abplagen müsse. Lea ging nach wie vor mit keinem Wort auf seine selbstgefälligen Klagen ein. Sie saß da, schälte ihm eine Birne, schaute ihn mit ihren grünblauen, eindringlichen Augen freundlich, ein wenig spöttisch an. War es wirklich eine Gnade von ihm, wenn er, der reiner Geborene, sich zu ihr
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