Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Berchtesgadener Schloß des Führers, die Emigranten und ihre Presse satt hatte und entschlossen war, durchzugreifen. Wahrscheinlich auch hatte Herr Heydebregg den Auftrag, den Fall Benjamin zu bereinigen, das hieße, als Richter über Gehrke zu fungieren. Diese Erwägungen gaben Wiesener das frühere Gefühl der Superiorität über Spitzi zurück. Er unterhielt sich mit ihm über Heydebregg behutsam, mit einem höflichen, betont unterdrückten Bedauern, wie man mit einem Kranken von seiner Krankheit spricht, dabei nicht ohne Schadenfreude. Er verfehlte aber seinen Zweck. Herr von Gehrke seinesteils versprach sich nämlich von der Ankunft Heydebreggs nur Vorteile. Der war mit dem Bären gut bekannt und hatte bestimmt keine überwollenden Weisungen von ihm bekommen. Beide sprachen sie also angeregt über den Herrn, den sie erwarteten, und ergingen sich in mannigfachen Hoffnungen und Befürchtungen, nur nicht in denen, die sie wirklich hofften oder fürchteten.
Die Unterredung schloß angenehmer, als sie begonnen hatte. Zwar schien man auch in der Rue de Lille nichts Rechtes zu wissen, aber Wiesener hatte doch das Gefühl, das Streitobjekt sei noch am Leben und die unterirdische Panik, die aus dem Aufsatz des gewissen Trautwein herausklang, sei nichts weiter als die übliche Emigrantenhysterie. Er bestieg seinen vor der Botschaft wartenden Wagen, und während er startete, pfiff er vor sich hin: »O lieber Tod von Basel, Bi ba Basel.«
Zum Mittagessen hatte er sich bei Madame de Chassefierre angesagt. Lea sah besonders hübsch aus, das lavendelblaue Kleid unterstrich ihre zarte, helle Haut, das dunkelbraune Haar, die grünblauen Augen. Wiesener hatte den unbehaglichen Vormittag vergessen, er war einverstanden mit sich, seiner Freundin und dem Leben. Er genoß die angenehme Atmosphäre des ruhigen Hauses, die gepflegten Speisen, dashelle Speisezimmer, den Ausblick auf den schönen Rasen des ummauerten Gartens.
»Dieser Trautwein hat es Ihnen aber gegeben, lieber Erich«, sagte unvermittelt mit ihrer hellen, freundlichen Stimme Lea und schaute zu, wie der Diener Emile ihr die Forelle schälte.
Wieseners Laune schlug jäh um. Er hatte erwartet, hier in der Rue de la Ferme ein paar Stunden zu verbringen, ohne an die Geschäfte denken zu müssen; nach dem Gespräch mit Spitzi hatte er gehofft, vor dieser ärgerlichen Sache Benjamin endlich Ruhe zu haben. Es verdroß ihn, daß ihm der leidige Trautwein schon wieder in die Quere kam, und fast mehr noch, daß Lea ihn in Gegenwart des Dieners hänselte.
Da er schwieg, lächelte sie hinauf zu dem Stilleben, das ihr gegenüber an der Wand hing. »Wenn ihr so weitermacht«, sagte sie, »werde ich bald eine richtige Galerie beisammen haben.« Mit diesem Stilleben aber hatte es folgende Bewandtnis. Wiesener ließ in Deutschland gute moderne Kunst aufkaufen; mit einigem Spürsinn fand man dort viel Preiswertes, denn gute zeitgenössische Bilder waren als »entartete Kunst« mißliebig. Sooft nun die Nazi eine besonders herausfordernde Dummheit machten, dann, ohne über den Grund ein Wort zu verlieren, schenkte er, gleichsam zur persönlichen Rechtfertigung, Lea eines dieser Kunstwerke.
Wiesener wartete ab, bis der Diener gegangen war. »Ihr Trautwein hat es leicht«, meinte er dann. »Die Unsern benehmen sich einmal wieder so trottelhaft, daß sich jeder Dreigroschenjournalist seinen Erfolg holen kann, wenn er gegen sie losgeht.« Das sollte leicht kommen, klang aber ziemlich übellaunig.
Madame de Chassefierre sah hoch. Sein langer Mund war mehr gekrümmt als sonst, sein ohnedies nicht starkes Kinn floh noch weiter zurück; männlich sah er jetzt nicht aus, eher wie ein schmollendes Kind. Wenn Marieclaude ihn so sähe, ihre Freundin, fände sie es wieder einmal unbegreiflich, daß sie, Lea, es noch immer mit ihm hält. Schon damals, als die Nazi an die Macht kamen, war ihre Freundin Marieclaude befremdetgewesen, daß sie, die doch auf ihren Tropfen jüdischen Blutes stolz war, ihre Bindung mit dem Vertreter der »Westdeutschen Zeitung« nicht löste. »Dreigroschenjournalist?« erwiderte sie. »Ich finde, dieser Trautwein hat seinen eigenen Ton, und er klingt nicht schlecht. Pereyros haben mir erzählt, der Mann mache gute Musik.«
»Möglich«, zuckte Wiesener die Achseln, unwirsch. Was nur heut mit ihm los ist? Immerzu reagiert er falsch. Sonst versteht er doch Spaß und verübelt es Lea nicht, wenn sie ihn ein wenig aufzieht, im Gegenteil, er empfindet ihre leise Ironie
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