Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern‹«, zitierte er, deutsch.
Er wartete darauf, daß sie ihm endlich etwas über den Frack sage; selbst ein Tadel wäre ihm lieber gewesen als dieses Schweigen. Am liebsten hätte er jetzt selber davon angefangen und sie geradezu gefragt: Wie gefällt dir mein Frack? Aber das ging nicht; es war nicht überlegen genug. Lea spürte, was in ihm vorging, und freute sich, daß sie das Rechte getroffen hatte; ihr Schweigen war die wirksamste Strafe seiner Auflehnung. Genau wie Erich, dachte sie. Er bringt es nicht über sich, selber den Mund aufzutun.
So war es auch; Raoul wurde immer erwachsener. »Ich habe mich jetzt mehr mit Céline beschäftigt«, erzählte er. »Monsieur Wiesener hat es mir geraten. Es war kein schlechter Rat. Céline, das ist eine Mischung von Nihilismus und derbster Erotik, sehr beachtlich. Für dich, Liebling, wäre es nichts. Um dieses Gemisch würdigen zu können, muß man ein bißchen tiefer in den Schmutz hineingeschaut haben, als eine Dame in deiner Lage das kann.« Jetzt könnte sie aber endlich geruhen, seinen Frack wenigstens wahrzunehmen. Drei Anproben hat er gehabt, und Papa hat eine Stange Gold dafür herausrücken müssen. Doch sie geruhte nicht. Sie begnügte sich, ihm aus dem Spiegel freundlich zuzulächeln, und sagte: »Sprich weiter, mein Junge, ich höre.« Raoul lächelte zurück, aber er sprach nicht weiter. Er war gekränkt. Sie nahm ihn nicht ernst genug, ihn nicht und seinen Frack nicht.
Seltsamerweise richtete sich sein Ärger gegen Wiesener. Der hatte ihm die kleine Gefälligkeit abgeschlagen, ihm in der Sache der »Jeanne d’Arc« und seines Jugendtreffens behilflich zu sein, und hatte ihn dafür mit einem Frack abspeisen wollen. Ist das eine Wiedergutmachung? Es war selbstverständlich, daß er endlich einen Frack bekam; Mama nimmtden Frack nicht einmal zur Kenntnis, so selbstverständlich ist es. Nein, Monsieur Wiesener, da haben Sie sich’s zu leicht gemacht. So billig geben wir’s nicht. An die Sache mit der »Jeanne d’Arc« werden Sie doch noch heranmüssen. Vorläufig werden wir Ihnen hier einmal zeigen, daß wir auch noch da sind.
Raoul glaubte, einigen Einfluß auf seine Mutter zu haben und mitbestimmen zu können, wieweit in der Rue de la Ferme gutes Wetter für Wiesener war. Schaden konnte es auf keinen Fall, wenn er merken ließ, daß er Herrn Wiesener nicht ganz kritiklos hinnahm. »In letzter Zeit, Liebling«, sagte er, er sprach deutsch, damit Odette ihn nicht verstehe, »wenn ich dich mit unserm Nazi zusammen sehe, dann habe ich immer das Gefühl, als seist du eine Patriziertochter des verfallenden Rom, die sich mit einem Barbarenhäuptling zusammengetan hat. Ich schaue dieser Verbindung mit einem heitern, einem nassen Auge zu.«
Er suchte ihr Gesicht im Spiegel, ob sie lächle. Sie lächelte nicht. So jung Raoul war, er war ein selbständiger, blasierter Herr, dessen zahlreiche mehr oder minder kleine Fehler man hinnehmen mußte, wenn man überhaupt mit ihm auskommen wollte. Lea nahm sie hin. Sie verzärtelte ihn, tadelte ihn sanft, machte aus ihrer etwas ironischen Bewunderung kein Hehl und wartete gespannt, was alles sie noch an ihm erleben werde. Sie bedachte seine Worte und hörte heraus, daß er in ihr eine Angehörige einer abgelebten Epoche sah, daß er sie zum alten Eisen warf. Hatte er nicht recht? Ihr Gesicht im Spiegel sah frisch aus, gewiß, doch sie gehörte zur Generation von vor dem Krieg, ihre Erlebnisse lagen hinter ihr, er hatte die Tatsache vor ihr voraus, daß er noch keine neunzehn war und somit für das bestürzend Neue, das überall heraufkam, zehnmal empfänglicher als sie. Er hatte recht, wenn er sie frech und galant behandelte und es als eine Gnade ansah, daß er sie ab und zu in sein Inneres hineinblicken ließ. Auch heute mußte sie ihm, wenn er sich nicht sogleich wieder zusperren sollte, zuhören wie einem älteren Freund.
Dazu aber war sie nicht aufgelegt. Erich hatte sich nicht von seiner besten Seite gezeigt. Was immer er mit seiner geübten Beredsamkeit vorgebracht hatte, die Sache mit dem entführten Benjamin behielt ihren übeln Geruch. Solang er da war, hatte sie ihm geglaubt, seine leichtfertige Liebenswürdigkeit hatte wieder einmal über sie gesiegt; doch ihr Mißtrauen war nicht beruhigt, sie war noch keineswegs sicher, wie sich ihr Erich in der Sache dieses Benjamin und der »Nachrichten« weiter benehmen werde. Mußte sie aber schon seine Schwächen durchgehen lassen, so
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