Existenz
Hand mit sechs Fingern aufwies, an deren Ende Augen blinzelten. Die Nachzügler zupften an den ersten drei Fremden, erst sanft und zögernd, dann mit mehr Nachdruck.
»Sie verhalten sich wie Franzosen oder Chinesen«, kommentierte Emily Tang. »Sie lehnen stolz die vermeintliche Demütigung ab, sich abzuwechseln oder in einer Reihe zu stehen. Schade eigentlich, dass wir sie zwingen, etwas anderes zu werden. Briten vielleicht, oder sogar Japaner. Zahme Akzeptanten der Tyrannei des Schlangestehens.«
Haihong Ming, das Kommissionsmitglied aus dem Zentralen Königreich, lachte laut, und Akana Hideoshi zeigte ein grimmiges Lächeln. Doch Ben Flannery, der Anthropologe aus Hawaii, sah Emily verwirrt an und nahm ganz offensichtlich Anstoß an ihren kulturellen Vorurteilen.
Emily zuckte die Schultern. »Zugegeben, es war meine Idee, den Außerirdischen Disziplin beizubringen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass es mir an Mitgefühl mangelt. Derzeit hat das zänkische Drängeln einen gewissen Schulhof-Charme. Auch wenn es die Kommunikation praktisch unmöglich macht.«
Tshombe beobachtete das Durcheinander der Aliens und nahm ein bisschen Gedrängel hin. Aber als einige Neuankömmlinge gemeinsam versuch ten, das Fledermaus-Wesen beiseite zu schieben und nach vorn zu gelangen, winkte er knapp, woraufhin das vom Projektor stammende Licht verschwand und der Stein plötzlich wieder im Dunkeln lag. Kompressoren brummten und betrieben Wärmepumpen unter dem Tisch – das Artefakt bekam eisige Kälte zu spüren.
»Und jetzt, Jungen und Mädchen und Sonstwas …«, murmelte Emily mit Genugtuung. »Lernt euch zu benehmen.«
Das Gedrängel hörte auf, und daraufhin schaltete Patrice den Lichtstrahl wieder ein. Mit seziermesserartiger Präzision richtete er ihn auf den Zentauroiden und das Tintenfisch-Geschöpf; die Neuankömmlinge blieben im Halbdunkel.
»Ich habe selbst bei Ottern bessere Ergebnisse beobachtet«, brummte Tshombe mit seinem starken Frafrikaans-Akzent. »Aber wir erzielen eindeutig Fortschritte. Die Reaktionen erfolgen schneller.«
Während diese Zyklen mehrmals wiederholt wurden, blickte Gerald über die Schulter hinweg zu den »billigen Plätzen« hinter dem getönten Glas, einem tribünenartigen Bereich mit komfortablen VIP-Sesseln, wo Würdenträger und Experten das Kontaktteam beobachteten, unterstützt von den besten Beratern und der besten KIware, die man sich kaufen konnte.
Was die Berater betraf … Sie hatten jetzt auch eine Präsenz auf dieser Seite der gläsernen Barriere. Einige Meter rechts von Gerald schwebte eine leuchtende 3D-Gestalt namens Hermes, mit kantigem Gesicht, goldenem Gewand und blondem Haar. Sie erweckte den Anschein, am Ende des Tisches auf und ab zu gehen, und der Blick, den sie dabei auf General Hideoshis Team richtete, zeigte immer mehr Ärger.
Warum in aller Welt haben die Berater ein so auffallendes, protziges Ding als ihre »Kontaktperson« gewählt?, fragte sich Gerald. Glauben die Politiker, Professoren und Aristokraten, dass sich Akana von der Karikatur eines olympischen Gottes einschüchtern lässt?
Vielleicht war es keine absichtliche Wahl. Oft war es die Software, die einen Gruppen-Avatar oder eine Mob-Entität auswählte, indem sie eine Eigenschaft interpolierte, die alle Mitglieder gemeinsam hatten. Bedeutete der goldene Gott in diesem Fall, dass sich die Berater für eine … Elite hielten?
Nicht unbedingt. Vermutlich handelte es sich um einen Fall von Überkompensation. Sie sind plötzlich mit hoch entwickelten Außerirdischen konfrontiert und wollen sicher, dass die Menschheit besonders gut dasteht.
Trotzdem, Hermes war eindeutig übertrieben. Er runzelte die göttliche Stirn, trommelte mit glänzenden Fingern ungeduldig auf den Tisch und hielt gelegentlich inne, um Vorschläge oder kritische Anmerkungen zu schreiben, die er dann über den Tisch schob, zu all den anderen virtuellen Mitteilungen, denen Gerald und die anderen Mitglieder des Teams praktisch keine Beachtung schenkten. Mit seiner Mischung aus Unruhe und Ärger wies der virtuelle Olympier zu große Ähnlichkeit mit den Außerirdischen im Artefakt auf.
Wenn man an die typischen SF-Klischees denkt, an weit überlegene unnahbare Aliens, oder kitschig-kluge oder bedrohliche … Dann ist es fast eine Erleichterung zu sehen, dass sie sich wie undisziplinierte Schulhof-Rangen benehmen.
Es sei denn … Vielleicht ist es ein Trick. Vielleicht wollen sie diese Wirkung auf uns erzielen.
Am anderen Ende
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