Existenz
speziellen Sockeln lagen, in der Mitte des Raums. Einige von ihnen befanden sich in seltsamen Kästen aus Holz und Kristall. Ich sage dir, es war eine Art Sammlung. Und sie muss wertvoll gewesen sein, wenn der Eigentümer sie versteckt hat, damit …«
»Kästen?« Dieser Hinweis weckte Mei Lings Interesse, zumindest ein wenig. »Hast du welche von ihnen mitgebracht?«
»Einige. Ich habe sie auf dem Floß gelassen, weil ich so müde war. Und hungrig.« Bin schnupperte demonstrativ in Richtung Schmortopf, in dem Mei Ling die Mahlzeit vom vergangenen Abend aufwärmte, die Bin versäumt hatte. Er roch Fisch, gekocht mit Lauch, Zwiebel und dem rötlichen Tang, den seine Frau sehr häufig verwendete.
»Bitte hol einen dieser Kästen, Xiang Bin«, sagte sie. »Dein Essen ist warm, wenn du zurückkehrst.«
Bin hätte es ebenso gern kalt verschlungen. Doch er seufzte resigniert, riss sich zusammen und fand irgendwie die Willenskraft, aufzustehen und noch einmal nach unten zu gehen. Ich bin noch jung, aber ich weiß bereits, wie es sich anfühlt, alt zu sein .
Das sich langsam ausbreitende graue Zwielicht der Dämmerung half ihm, als er vorsichtig übers Dach ging und dann Leiter und Treppe hinter sich brachte, ohne einmal zu stolpern. Seine Hände zitterten, als er zwei weitere Bergungsbeutel mit kantigen Objekten vom Floß losband. Sie nach oben zu bringen und mit ihnen das Dach zu überqueren, kam einem Triumph des Willens über Schmerz und Erschöpfung gleich.
Die meisten unserer Vorfahren hatten es mindestens so schlecht, erinnerte er sich. Bis die Dinge in China viel besser wurden, für eine Generation …
… und dann wieder schlimmer. Für die Armen.
Hoffnung war natürlich eine gefährliche Sache. Gelegentlich hörte man von Küstensiedlern, die bei einer Bergung Glück hatten und etwas Wertvolles fanden. Aber in den meisten Fällen war die Realität ziemlich bitter. Vielleicht ist es nur die private Steinsammlung eines Hobbygeologen, dachte Bin. Das Steckenpferd eines Mannes, wichtig für ihn persönlich, aber ohne Marktwert.
Nachdem er zum zweiten Mal auf den Boden des Zelt-Heims gesunken war, regte sich jedoch genug Neugier in ihm, den Kopf zu heben, als Mei Lings flinke Finger die Knoten lösten. Sie drehte einen Beutel mit der Öffnung nach unten, und mehrere Steine fielen heraus, zusammen mit zwei Kästen, die aus erlesenem geschnitztem Holz bestanden und Fenster mit abgeschrägten Kanten aufwiesen, die so wunderschön glitzerten, dass sie nicht aus einfachem Glas bestehen konnten.
Zum ersten Mal sah Bin ein bisschen Feuer in den Augen seiner Frau. Oder zumindest Interesse. Nacheinander nahm sie jeden Gegenstand, drehte ihn im Lampenlicht … und schob dann die Gardine beiseite, um den Schein der gerade übers Ostchinesische Meer emporsteigenden Sonne hereinzulassen. Das Baby erwachte, schaukelte von einer Seite zur anderen und quengelte, während Bin einige Löffel Brei vom aufgewärmten Inhalt des Topfes auf einen Teller gab.
»Öffne das hier«, sagte Mei Ling und zwang ihn, zwischen Teller und größtem Kasten zu wählen. Seufzend stellte er den Teller beiseite und nahm den Kasten von Mei Ling entgegen. Er war etwa so groß und schwer wie sein Kopf, vielleicht ein bisschen länger. Bin hantierte am verrosteten Verschluss, während Mei Ling den kleinen Xiao-En nahm, um ihn zu stillen.
»Vielleicht wäre es besser, ein wenig zu warten und den Kasten zu säubern, anstatt ihn sofort zu öffnen«, sagte Bin. »Schon der Behälter könnte einiges wert sein …«
Er zog noch immer am Verschluss, und plötzlich gab das Holz mit einem lauten Knacken nach. Schmutziges Wasser schwappte ihm auf den Schoß, gefolgt von einem massigen Objekt, so glatt und schlüpfrig, dass es ihm fast aus den Händen geglitten wäre.
»Was ist das, Ehemann?«, fragte Mei Ling. »Noch ein Stein?«
Bin drehte den Gegenstand und betrachtete ihn von allen Seiten. Das Objekt war schwer, hart und grünlich, wie blasse Jade. Vielleicht stammte die Farbe von dem Schleim, der selbst dann noch an der Oberfläche haftete, nachdem Bin sie mit einem Lappen abgewischt hatte. Ein so großes Stück Jade konnte einen guten Preis erzielen, vor allem dann, wenn es bereits eine gefällige Form hatte, die eines länglichen Eis. Er putzte noch etwas mehr mit dem Lappen und hielt das Objekt dann ins Licht der Sonne, um einen besseren Eindruck zu gewinnen.
Nein, es ist doch keine Jade.
Aber seine Enttäuschung verwandelte sich allmählich in
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