Existenz
zu platschen, als er an schiefen Wänden und spinnenartigen Zeltstangen vorbeieilte.
Diesmal wird Mei Ling von meinem Fund beeindruckt sein.
Diese Hoffnung trieb Bin an, bis er schließlich in die Nähe seiner eigenen Heimstatt gelangte – die vertraute schiefe Silhouette verdeckte ein breites Sternenband. Er hatte es so eilig, sein Zuhause zu erreichen, dass er unvorsichtig wurde und fast ins Verderben geraten wäre.
Selbst ein bisschen Mondlicht hätte ihn rechtzeitig auf den Quallenschwarm hingewiesen, eine Wolke aus langsam pulsierenden Halbkugeln, die durch die Bucht trieben, nur ein kleiner Ableger der riesigen Kolonie, die das Ostchinesische Meer heimgesucht hatte, jedes Jahr größer wurde und die Fischbestände dezimierte. Die Gezeitenströmung trug ihm Hunderte der Geschöpfe mit ihren langen Nesselfäden entgegen.
Bin versuchte auszuweichen und vermied im letzten Augenblick, direkt in den Quallenschwarm hineinzuschwimmen. Trotzdem musste er kurz darauf im schwach gewordenen Licht seiner Lampe feststellen, dass er von Ausreißern und Versprengten des Schwarms umgeben war. Indem er sich von einer Ansammlung entfernte, näherte er sich einer anderen. Er konnte einzelnen Quallen nicht ausweichen, trat mit den Schwimmflossen … und fühlte plötzlich brennenden Schmerz, als ihm ein Nesselfaden über die Knöchel des linken Fußes strich.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf das Floß zu klettern und zu beten, dass die Stricke hielten. Der Styroporwürfel sank unter seinem Gewicht, und Wasser umspülte ihn. Aber zum Glück konnten ihn die Nesselfäden nicht erreichen. Noch nicht.
Bin tastete im Dunkeln nach seinem Messer, schnitt damit eine leere Plastikflasche auf und bekam auf diese Weise ein neues Paddel, oder eine Art Schaufel, womit er sich durch den Sumpf aus giftigen Geschöpfen mühte. Darauf zu warten, dass der Schwarm vorbeizog oder sich auflöste, kam nicht infrage – bis dahin hätte ihn die Strömung zu weit abgetrieben. Da sein Küstenheim in Sichtweite lag, hielt er brachiales Vorgehen für das Beste.
Diese scheußlichen Biester töten alle Fische im Mündungsgebiet und verstopfen meine Netze, dachte er. Vielleicht würde seine Familie wochenlang hungern müssen.
Hat mir nicht jemand erzählt, dass man Quallen essen kann, wenn man vorsichtig ist? Mit Sesamöl gekocht? Von den Kantonesen heißt es, dass sie alle Zubereitungsarten kennen.
Es klang eklig. Aber vielleicht mussten sie es versuchen.
Die letzten hundert Meter waren reine Agonie. Bins Arme und Lunge schienen in Flammen zu stehen, und seine rechte Hand war mit einem weiteren Nesselfaden in Kontakt geraten. Aber schließlich sah er die Hauptöffnung der Hausruine direkt vor sich. Er bekam einige heftige Stöße ab, als das Floß halb seitwärts ins Atrium krachte. Zwei Bergungsbeutel platzten und verstreuten glitzernde Schätze auf dem alten Parkettboden. Und wenn schon. Die Dinge waren in Sicherheit, leicht zu erreichen.
Bin musste seine ganze restliche Kraft zusammennehmen, um auch nur einen Beutel nach oben zu schleppen und dann vorsichtig übers schiefe Dach mit den gebrochenen Ziegeln zu wanken. Endlich erreichte er das Zelt-Heim, in dem seine Frau und sein kleiner Sohn warteten.
»Steine?« Mei Ling starrte auf die Objekte, die Xiang Bin vor ihr abgelegt hatte. Im Osten zeigte sich das erste vage Licht der Morgendämmerung. Trotzdem musste sie eine Laterne heben, um seinen kleinen Fund zu betrachten. Sie schirmte das Licht ab und sprach leise, um das Baby nicht zu wecken. Der von der Seite kommende Schein hob die Narben auf der einen Wange hervor; sie erinnerten an eine Verletzung, die sie als Kind erlitten hatte, beim schrecklichen Hunan-Erdbeben.
»Wegen dieser paar Steine bist du so aufgeregt?«
»Sie lagen alle in Regalen, sorgfältig angeordnet und mit Etiketten versehen«, erklärte Bin. Er hatte die beiden von Nesselfäden stammenden Verletzungen behandelt und begann jetzt damit, Salbe auf eine Wunde am rechten Bein zu streichen, eine von mehreren, die sich nach dem langen Tauchen wieder geöffnet hatten. »Natürlich waren die Etiketten nach der langen Zeit nicht mehr lesbar. Aber ich habe auch Vitrinen und Glasschränke gefunden …«
»Diese Steine sehen nicht wertvoll aus«, unterbrach Mei Ling ihren Mann. »Es sind keine Diamanten oder Rubine. Ja, einige von ihnen finde ich recht hübsch, aber von der Brandung glatt geschliffene Kiesel findet man überall.«
»Du hättest jene sehen sollen, die auf
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