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Existenz

Existenz

Titel: Existenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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verblassenden Sonnenschein – nicht ins dunkle Tuch gewickelt, wie sie es vereinbart hatten. Er richtete einen scharfen Blick auf seine Frau, aber Mei Ling hielt den kleinen Xiao En. Sie zuckte nur die Schultern, während der Säugling zu zappeln und zu weinen begann.
    Mit einem leisen Seufzen näherte sich Bin dem Stein, dessen opalisierende Oberfläche regelrecht glühte und noch mehr Reflexionen zeigte. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie sich der Vogel interessiert vorbeugte.
    Der weiße Stein schien Bins Hände zu spüren – seine Oberfläche wurde milchig, und etwas wogte in ihr. Jetzt war deutlich zu erkennen, dass er sich von dem Havanna-Artefakt unterschied, das er kurz durchs Schaufenster eines KIlektronik-Ladens gesehen hatte. Er war etwas kleiner, runder und weniger glatt, wies am einen Ende Dellen, Furchen und Blasen auf, die zur länglichen Mitte hin streifenartige Fortsätze bildeten. Doch die Ähnlichkeiten waren unübersehbar. Ein Eindruck von Tiefe ergab sich dort, wo Bins Hände das Objekt berührten. Umrisse bildeten sich in dem Wogen, undeutlich zuerst, dann deutlicher, wie bei etwas, das aus dichtem Nebel kam.
    Dämonen, dachte Xiang Bin. Besser gesagt, ein Dämon. Eine einzelne Gestalt erschien, zweibeinig, ungefähr menschenähnlich.
    Widerstrebend – Bin wünschte sich, das Objekt nie entdeckt zu haben – legte er die Hände an die verjüngten Enden und biss die Zähne zusammen, als ein kurzes Zittern seine Arme erfasste. Er hob den schweren Stein, drehte sich und trug ihn fort vom Sonnenlicht. Woraufhin das Glühen nur noch stärker zu werden schien und die Schatten aus den Ecken des Zelt-Heims drängte.
    »Leg es auf den Tisch, aber lass es bitte nicht los«, sagte der Vogel und sprach noch immer höflich, wenn auch beharrlich. Bin kam der Aufforderung nach, obwohl er das Objekt lieber losgelassen hätte. Das Etwas, das darin Gestalt annahm, hatte er bisher noch nicht gesehen. Es war menschenähnlicher als die Dämonen, die im Fernsehen gezeigt worden waren und aus dem Stein in Washington geblickt hatten, aber es handelte sich dennoch um einen Dämon. Wie das furchterregende Pinguin-Wesen, dessen Flügel nun seinen Arm streifte, als es sich vorbeugte, darauf erpicht, sich das Objekt aus der Nähe anzusehen.
    »Die Legenden sind wahr!«, murmelte es. Bin fühlte die Resonanz der Vogelstimme; sie kam irgendwo aus der Brust. »Es heißt, dass Weltsteine wählerisch sind. Manchmal wählen sie einen Menschen, dem sie etwas zeigen, und manchmal nicht. So lauten die Geschichten.« Der Roboter beobachtete Xiang Bin mit einem glasigen Auge. »Du hast mehr Glück, als du ahnst.«
    Xiang Bin nickte freudlos und wusste, dass sein Glück zumindest einen Punkt betraf.
    Ich werde also gebraucht. Der Stein funktioniert nur bei mir.
    Was bedeutet, dass sie ihn mir nicht einfach wegnehmen können.
    Und es bedeutet, dass sie mich am Leben lassen müssen. Vorerst.
    Der Dämon im Stein hatte inzwischen klare Konturen gewonnen, auch wenn das Bild immer noch wogte. Er näherte sich auf zwei Beinen, die seltsame Gelenke aufwiesen, und streckte muskulöse Arme aus, als wollte er Bins Hände ergreifen. Der Mund – er schien vier Lippen aufzuweisen, wie eine flache Raute angeordnet – bewegte sich unter einer schlitzförmigen Nase und einem einzelnen, bandförmigen Organ dort, wo man die Augen erwartete. Bei jedem Öffnen und Schließen des Munds fühlte Bin ein leises Summen unter seine rechten Hand.
    »Der Stein ist beschädigt«, sagte die Pinguin-Maschine. »Er muss einmal über Akustikwandler verfügt haben. In einem gut ausgestatteten Laboratorium wäre es vielleicht möglich …«
    »Legenden?«, fragte Bin plötzlich, obwohl er wusste, dass er den Roboter besser nicht unterbrechen sollte. Aber er konnte nicht anders. Furcht, Erschöpfung, Kontakt mit Dämonen … Das alles hatte ihn an den Rand der Hysterie gebracht. Und die Situation hatte sich verändert. Wenn er etwas Besonderes war und gebraucht wurde, konnte er wenigstens die eine oder andere Antwort verlangen!
    »Welche Legenden? Soll das heißen, diese Steine sind schon einmal erschienen?«
    Der Vogel wandte den Blick vom humanoiden Geschöpf im Stein ab, das immer noch den Mund öffnete und schloss, in einer Nachahmung von Sprache, die fast – aber nicht ganz – zu den Vibrationen unter Bins rechter Hand passte.
    »Du kannst es ebenso gut erfahren, Peng Xiang Bin, denn auf dir lasten nun eine vom Himmel kommende Bürde und eine gewaltige

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