Exit Mosel
gestrigen Tag beendet war und er ab heute wieder seinen Dienst antreten könne.
»Na toll«, murmelte Walde, während er anschließend die Nummer der Gerichtsmedizin wählte.
»Hoffmann«, meldete sich die aufgeräumt klingende Stimme des Gerichtsmediziners.
»Bock, hallo.« Walde räusperte sich. »Ich wollte hören, wie weit Sie mit dem toxikologischen Befund sind.«
»Der Bericht müsste Ihnen eigentlich bereits vorliegen«, antwortete Hoffmann im frohgemuten Ton eines Lottogewinnüberbringers.
Walde bemerkte nun den hellgelben Umschlag quer über der flachen Ablagekiste.
»Ist gerade eingetroffen, danke«, antwortete Walde. »Falls ich noch Fragen habe, melde ich mich.«
»Die werden Sie ganz gewiss haben.«
Während Walde noch überlegte, wie der Umschlag hierher gelangt sein konnte, obwohl sein Büro über Nacht abgesperrt gewesen war, zog er einen an vielen Stellen gelochten, blassgrünen Aktendeckel aus dem großen Kuvert. Die Blätter darin waren lose. Beim ersten Foto zog er, ohne den Blick davon wenden zu können, eine Schublade an der rechten Seite seines Schreibtischs auf und tastete nach dem Block mit den schmalen Haftmarkern. Als er ihn fand, platzierte er einen der gelben Klebestreifen an den Rand der Seite. Abgebildet war im Prinzip nichts anderes, als was er bereits an Deck des Schleppers gesehen hatte, nur dass diesmal eine Detailaufnahme des Mundbereichs zu sehen war. Walde drehte sich in seinem Stuhl zum Fenster. Er überlegte, ob er von einschlägigen Filmen darauf konditioniert war, bei einem derartigen Anblick Gruseln zu empfinden. Welche Perspektive würde er wählen, wenn er selbst die gruseligste Einstellung wählen müsste? Seine Augen folgten dem Flug einer Taube, sein Gehirn hatte keinen Platz für den Vogel, der gegenüber auf der Dachrinne am Turm der Pauluskirche landete. Über dem Rauschen der Stadt hörte er Vögel pfeifen, das knatternde Aufheulen eines Motorrads mit Zweitaktmotor, den monotonen Bassrhythmus aus einem Auto, das wahrscheinlich da unten irgendwo vor einer Ampel hielt.
Walde wandte sich wieder dem Bericht auf seinem Schreibtisch zu. Auf den nächsten Seiten folgten Details vom odontologischen Vergleich mit weiteren Aufnahmen. Nach einer Weile beschränkte er sich nur noch darauf, die Seiten mit den grässlichsten Bildern zu markieren.
Nach einem kurzen Klopfen öffnete Grabbe mit Schwung die Bürotür. »Wir sind zurück.« Sein Kollege hatte wieder deutlich mehr Gesichtsfarbe als am Vortag.
»Ich bin gleich hier durch.« Walde hob die Kladde an. »Weißt du, wie der Bericht auf meinen Schreibtisch kam?«
»Den hab’ ich dahin gelegt«, antwortete Grabbe, der sich schon zum Gehen gewandt hatte und sich nun noch mal umdrehte. »Da war doch auch die Notiz dran, dass wir zur Caritas sind.«
Walde griff nach dem Umschlag. Da war nichts. In der Ablagekiste lag ein kleiner quadratischer Zettel mit seinem Namen drauf.
Als Walde in das Büro seiner Kollegen kam, war nur Grabbes harter Anschlag auf der PC-Tastatur zu hören, der verriet, dass er im vorigen Jahrhundert auf einer mechanischen Schreibmaschine gelernt und seine Finger sich bis heute nicht an einen sanfteren Druck auf die sensibleren Tasten gewöhnt hatten. Gabi saß, den Kopf in die Hand gestützt, und schaute nicht einmal auf.
»Ist alles okay?«, fragte Walde.
»Was soll denn sein?«, kam Gabis genervt klingende Gegenfrage.
»Wenn er das wüsste, würde er nicht fragen«, murmelte Grabbe laut genug, um verstanden zu werden.
»Was mischst du dich denn ein?«
»Er meint es doch nur gut.« Grabbe drehte sich ihr in seinem Stuhl zu. »Ich hab’ dich ja auch schon gefragt. Oder ist bei dir auch gut gemeint gleich schlecht gemacht?«
»Man muss ja nicht jeden Tag gut drauf sein.« Sie zeigte auf die Kladde in Waldes Hand. »Können wir es für den Moment dabei belassen und über den Fall reden? Hat Hoffmann noch was gefunden?«
»Ja, er hat irgendwelche Sedativa bei Roth entdeckt.« Er legte die Mappe vor Gabi auf den Schreibtisch. »So ganz werde ich nicht schlau daraus.«
»Was haben die Zettel zu bedeuten?« Gabi schlug den Deckel auf. »Ach so!«, sie klappte Hoffmanns Bericht wieder zu und schaute Grabbe an. »Wie war’s bei der Caritas?«
»Gerhard Roth arbeitete mit zwei älteren Kolleginnen zusammen. Sie scheinen ganz gut harmoniert zu haben. Ihr Kontakt hat sich allerdings nur auf die Arbeit beschränkt.« Grabbe nahm ein kleines blaues Notizbuch in die Hand, ohne es aufzuschlagen.
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