Exit
Fingerknöchel waren kreideweiß.
»… sie steht unter unglaublichem Druck.«
»Und was ist mit Ihnen?«
»Es ist bestimmt kein Vergnügen, das kann ich Ihnen sagen. Aber am schlimmsten ist es für Cindy. Wenn wir ehrlich sind, haben wir in meiner Familie noch die einfache, traditionelle Rollenverteilung - die ganz normale Ehe: Ich gehe arbeiten, sie kümmert sich um Haushalt und Kinder. So haben wir es ausgemacht - Cindy wollte es so. Zu einem gewissen Grad, vielleicht nicht genug, tue auch ich meinen Teil zu Hause, aber das Kindergroßziehen ist Cindys Domäne. Und sie ist mit Sicherheit viel besser darin als ich. Wenn also in dem Bereich etwas schiefgeht, dann nimmt sie die ganze Verantwortung auf sich.«
Er strich sich den Bart und schüttelte den Kopf. »Jetzt hab ich aber genug um den Brei geredet: Ja, es geht mir verdammt an die Nieren: Wahrscheinlich wissen Sie von Chad, unserem ersten Baby?«
Ich nickte.
»Wir waren am Ende, Doktor, es gibt einfach keine Worte … Ich kann nur sagen: So etwas würde ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen. Und als wir gerade begannen, uns wiederaufzurichten, als wir uns zusammenrissen und lernten, an Cassie Freude zu haben, ging's bei ihr los - unfaßbar.«
Endlich kam der Aufzug. Wir stiegen ein, Chip drückte den Knopf fürs Erdgeschoß, lehnte sich mit dem Rücken an die Kabinenwand und sprach weiter.
»Ich bin immer stur gewesen, wahrscheinlich zu stur - ein hartnäckiger Individualist. Die Ursache dafür ist wahrscheinlich, daß man mich, als ich klein war, zu totaler Anpassung zwingen wollte. Aber inzwischen habe ich festgestellt, daß ich im Grunde sehr konservativ bin und zu einfachen Werten neige: Lebe nach den Regeln, dann wird am Ende alles gut. Hoffnungslos naiv, natürlich. Man gewöhnt sich ein bestimmtes Denken an und fühlt sich damit wohl, und dann gibt man es nicht mehr auf. Glauben nennt man das wohl. Doch jetzt bin ich auf dem besten Weg, diesen Glauben zu verlieren. Ich hoffe zutiefst, daß Sie Cassandra helfen können. Wenn sie schon dieses Elend durchmachen muß, dann ersparen Sie ihr wenigstens die Schmerzen.«
Der Aufzug hielt. Er konnte kaum abwarten, bis die Tür sich öffnete, und verschwand.
Ich traf Stephanie in der Allgemeinmedizin in einem der Untersuchungszimmer. Sie war mit einem Patienten beschäftigt und bat mich, in ihr Büro vorzugehen.
Ich blätterte in einer neueren Nummer des Pediatrics, bis Stephanie erschien. Sie schloß die Tür hinter sich und ließ sich auf ihren Arbeitsstuhl fallen.
»Also: wie ist es gegangen?«
»Gut, abgesehen von Miss Bottomleys Feindseligkeit.«
»Ist sie dir in die Quere gekommen?«
»Nein, nicht direkt, es ging halt nur so weiter wie heute früh.« Ich erzählte ihr die Szene mit der Schwester und Chip.
»Sie versucht sich einzuschmeicheln, aber wahrscheinlich läuft sie damit bei ihm auf. Er hält sie für eine schamlose Schleimerin. Gleichzeitig denkt er aber, daß sie sich gut um Cassie kümmert. Und seine Theorie, warum sie sich mir gegenüber so benimmt, trifft den Nagel vermutlich auf den Kopf: Sie verteidigt ihren Anspruch auf die Aufmerksamkeit eines VIP-Patienten.«
»Es geht ihr also um Aufmerksamkeit, meinst du. Das würde ins Münchhausen-Bild passen.«
»Ja. Dazu kommt: Sie war tatsächlich bei den Jones' zu Hause. Allerdings nur einige Mal, und das ist schon eine Weile her. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, daß sie die Hand im Spiel hat. Doch wir wollen sie im Auge behalten.«
»Damit hab ich schon angefangen, Alex. Ich habe mich umgehört. Die Pflegeverwaltung hält sie für Spitze. Sie bekommt stets gute Bewertungen, und es hat noch nie Beschwerden gegeben. Soweit ich sagen kann, gab es noch nie einen ungewöhnlichen Krankheitsverlauf unter ihren Patienten. Doch mein Angebot steht noch: Wenn sie zuviel Ärger macht, wird sie versetzt.«
»Laß mich versuchen, mit ihr zurechtzukommen. Cindy und Chip mögen sie.«
»Obwohl sie sich an sie heranschmeißt?«
»Ja. Übrigens meint Chip, das ganze Krankenhaus benähme sich so. Er mag keine Sonderbehandlung.«
»Kannst du dich genauer ausdrücken?«
»Er hat keine besonderen Klagen, und gegen dich hat er nichts, das hat er ausdrücklich gesagt. Er macht sich nur Sorgen, daß man vor Aufregung etwas übersehen könnte, weil jeder weiß, wer sein Vater ist. Aber vor allem sieht er erschöpft aus. Sie sind beide erschöpft.«
»Sind wir das nicht alle? Was ist also dein erster Eindruck von der Mama?«
»Sie ist
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