Exit
»Das hat Dr. Eves mich schon gefragt, und Sie waren dabei.«
»Ich dachte, vielleicht ist Ihnen inzwischen etwas eingefallen.«
»Mir ist nichts eingefallen«, schnappte sie, »ich weiß überhaupt nichts - ich bin nur die Schwester.«
»Die Schwester weiß manchmal mehr als jeder andere.«
»Erzählen Sie das dem Gehaltskomitee!« Das war ihr letztes Wort. Sie hielt sich das Magazin vors Gesicht. Ich wollte noch etwas erwidern, doch da rief jemand meinen Namen.
Chip Jones kam eilig den Gang herunter. »Danke, daß Sie gewartet haben.«
Als Vicki seine Stimme hörte, legte sie das Magazin beiseite und rückte ihre Haube zurecht. »Hallo, Dr. Jones.« Das süße Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, wirkte wie Honig auf trockenem Graubrot.
Chip lehnte sich grinsend an die Schaltertheke und schüttelte den Kopf. »Ach, Vicki, versuchen Sie mal wieder, mich zu befördern?
Meine Doktorarbeit ist nie fertig geworden, aber Vicki - ich meine, unsere großzügige Miss Bottomley hier - will mich ständig zum Doktor machen.«
Vicki brachte ein noch schleimigeres Lächeln zustande und meinte: »Doktor oder nicht, was macht das schon für einen Unterschied?«
»Wissen Sie, für jemanden, der sich den Titel wirklich verdient hat, wie Dr. Delaware, ist das vielleicht ein großer Unterschied.«
»Ganz bestimmt.«
Er bemerkte die Galle in ihrer Stimme und schaute sie fragend an, worauf sie verlegen zur Seite blickte.
Nun sah er den Geschenkkarton. »Vicki, schon wieder?«
»Es ist nur eine Kleinigkeit.«
»Das ist sehr lieb von Ihnen, aber vollkommen unnötig.«
»Ich mache das gern. Sie ist solch bin Engel.«
»Das ist sie, Vicki«, bestätigte er lächelnd. »Ist es wieder ein Häschen?«
»Ja, Dr. Jones, die hat sie so gern.«
» Mister Jones, Vicki! Wenn Sie unbedingt einen Titel benutzen wollen, wie war's mit Herr Professor? Das klingt so schön altertümlich. Was meinen Sie, Dr. Delaware?«
»Ja, warum nicht.«
»O je, was plappere ich da. Das Krankenhaus raubt mir den Verstand. Nochmals danke, Vicki, Sie sind sehr lieb.«
Er wandte sich zu mir. Bottomley errötete. »Von mir aus können wir gehen, Doktor.«
Wir stießen die Teaktüren auf und fanden uns im Gewimmel der Oststation. Wir sahen ein weinendes Kind, das im Rollstuhl irgendwohin geschoben wurde, und einen kleinen Jungen, der am Tropf hing, den Kopf dick verbunden. Chip runzelte die Stirn und schwieg.
Als wir uns den Aufzügen näherten, schüttelte er den Kopf und meinte: »Die gute Vicki, was ist sie nur für eine Schleimerin.
Mit Ihnen geht sie allerdings ganz schön schnippisch um, oder täusche ich mich da?«
»Nein, ich scheine nicht gerade ihr Liebling zu sein.«
»Und warum?«
»Ich weiß nicht.«
»Haben Sie früher einmal Ärger mit ihr gehabt?«
»Nein. Ich hatte noch nie mit ihr zu tun.«
»Schade, aber für Cassie scheint sie bestens zu sorgen, und Cindy kann sie auch gut leiden. Ich glaube, Cindy fühlt sich durch sie an die Tante erinnert, bei der sie aufgewachsen ist. Das war auch eine Krankenschwester - ein wahres Schlachtschiff.«
Wir passierten eine Gruppe übermüdet aussehender Studenten, und er fuhr fort: »Vielleicht meint Vicki ihr Revier verteidigen zu müssen und reagiert deshalb so auf Sie.«
»Könnte sein.«
»Solche Dinge fallen mir hier öfter auf. Patienten werden behandelt wie Privateigentum.«
»Meinen Sie, es ist Ihnen selbst auch so ergangen?«
»Ganz bestimmt. Unsere besondere Situation erhöht noch die Spannungen. Die Leute denken, es lohnt sich, uns die Füße zu küssen, weil wir eine Art direkten Draht zum Machtzentrum haben. Ich fürchte manchmal, dieser Ausnahmestatus könnte dazu führen, daß etwas übersehen, daß die Routine nicht eingehalten wird. Nichts gegen Dr. Eves, ich habe den größten Respekt vor ihr.« Er verlangsamte die Schritte und kratzte sich den Kopf. »Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein. Cassie ist fast ihr ganzes Leben lang krank gewesen, doch was ihr eigentlich fehlt, konnte bisher niemand herausfinden … Ich hoffe inständig, Sie können Cassie helfen, mit den Spritzen klarzukommen. Sie hat den totalen Alptraum hinter sich. Das gilt auch für Cindy. Sie ist eine wunderbare Mutter, doch in einem solchen Fall sind Selbstzweifel unvermeidlich.«
»Gibt sie sich selbst die Schuld?« fragte ich.
»Manchmal, ja, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Das sage ich ihr immer wieder, aber…«
Er drehte an seinem Ohrring, wirkte bedrückt. Seine
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