Exit
abzubringen, aber jetzt habe ich genug andere Mütter hier gesehen, um zu wissen, daß es normal ist. Vernünftig sogar, eine Art Absicherung.«
»Gegen was?«
»Gegen Schlamperei.«
»Davon hat Cindy auch gesprochen. Haben Sie hier schon Schlampereien erlebt?«
»Fragen Sie jetzt den Vater oder den Sohn des Krankenhausvorstands?«
»Macht das einen Unterschied?«
Er lächelte bitter. »Und ob. Als Chuck Jones' Sohn sage ich, dies ist der siebte Himmel der Kindermedizin; das würde ich Ihnen auch sofort schriftlich geben. Als Vater eines kranken Kindes weiß ich, daß Fehler unvermeidlich sind. Und die werden dann unter den Teppich gekehrt, falls sie überhaupt bemerkt werden. Ich glaube, man kann Eltern keinen Vorwurf daraus machen, daß sie lieber selbst aufpassen, daß nichts schiefgeht.«
»Sie haben demnach kein großes Vertrauen in diese Klinik?«
»Aber doch, ganz im Gegenteil«, sagte er heftig. »Bevor wir uns für dieses Krankenhaus entschieden, haben wir natürlich nachgeforscht - daran konnte uns auch mein Vater nicht hindern. Daher weiß ich, daß es in dieser Stadt wirklich der beste Ort ist für ein krankes Kind. Und trotzdem: wenn es ums eigene Kind geht, verlieren Statistiken jede Bedeutung, nicht wahr?«
Ich hielt ihm die Tür auf, und wir betraten die Privatstation.
Im Vorbeigehen erkannte ich Vickis robuste Gestalt hinter einer Glastür im Schwesternbereich.
Chip steckte den Kopf in Zimmer 505 und zog ihn wieder zurück. »Cindy schläft noch.« Er hielt mir einen der Becher hin. »Wäre doch schade, diesen wunderbaren Kaffee zu verschwenden.«
»Nein, danke«, erwiderte ich.
Er lächelte. »Sie kennen die Brühe offenbar.« Er zog eine Grimasse und trank aus dem anderen Becher. »Hm, das reinste Lebenselixier; genau das Richtige, um mich bei Bewußtsein zu halten.«
»Sie haben einen langen Tag hinter sich?«
»Nein, im Gegenteil, der Tag war zu kurz. Die Tage scheinen mit dem Alter immer kürzer zu werden, meinen Sie nicht auch? Kurz und vollgestopft mit Verwaltungskram. Und dann das Hin und Herfahren zwischen zu Hause und Arbeit und Krankenhaus, auf unseren berühmten Schnellstraßen.«
»Die Strecke werde ich bald kennenlernen«, sagte ich, »wenn ich meinen Hausbesuch mache.«
»Ja, Cindy erwähnte es. - Ah, da kommt unsere Florence Nightingale… Hallo, Vicki. Schon wieder auf Nachtschicht?« Ich drehte mich um und sah die Schwester lächelnd und mit frischgestärkter Haube auf uns zu marschieren.
»Guten Abend, Professor Jones.« Sie saugte Luft ein, als wollte sie abheben, bevor sie mir zunickte.
Chip reichte ihr den unberührten Kaffee. »Trinken Sie ihn, oder schütten Sie ihn weg.«
»Danke, Professor Jones.«
Er schaute zu Cassies Tür. »Wie lange schlafen die beiden Dornröschen schon?«
»Cassie seit ungefähr acht. Mrs. Jones hat sich eine Dreiviertelstunde später hingelegt.«
Er schaute auf die Uhr. »Können Sie mir einen Gefallen tun, Vicki? Ich werde Dr. Delaware nach draußen begleiten, und wenn ich unten bin, werde ich mir vielleicht etwas zu essen besorgen. Könnten Sie mich rufen lassen, wenn sie aufwachen?«
»Ich kann Ihnen auch etwas holen, wenn Sie möchten, Professor.«
»Nein, danke, die Bewegung tut mir gut nach der Fahrerei.«
Vicki lächelte mitfühlend. »Sobald eine von beiden aufwacht, werde ich Ihnen Bescheid sagen lassen.«
Als wir die Teaktür hinter uns hatten, blieb er stehen und fragte mich: »Was halten Sie von der Art, wie man mit uns umgeht?«
»Was meinen Sie mit ›umgehen‹?«
Er schritt weiter. »Im medizinischen Sinn: Seit der Einweisung hat es, soweit ich erkennen kann, keine wirkliche Untersuchung gegeben. Nicht, daß ich mich darüber beklage; man bleibt ihr wenigstens mit diesen gottverdammten Nadeln vom Leibe. Aber mir geht die ganze Zeit ein bestimmtes Wort durch den Kopf: Placebo. Man hält unsere Händchen, schickt uns einen Seelendoktor - bitte nehmen Sie das jetzt nicht persönlich -, und ansonsten wartet man darauf, daß, was immer mit Cassie los ist, sich von selber gibt.«
»Moment«, entgegnete ich, »man hat mich nicht hinzugezogen, weil irgendwer denkt, Cassies Krankheit sei psychosomatischer Art. Meine Aufgabe ist lediglich, ihr zu helfen, mit ihrer Angst und ihren Schmerzen fertig zu werden. Und mein Hausbesuch soll nur dem Zweck dienen, sie soweit an mich zu gewöhnen, daß ich ihr helfen kann, sobald sie mich braucht.«
»Sicher, das verstehe ich. Es ist wohl die Unerklärlichkeit des Ganzen, die
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