Exit
die Frage war.
Ich wollte gerade in den Lift steigen, als am anderen Ende des Ganges plötzlich ein Gewimmel entstand. Scharenweise weiße Kittel, die zum Transportaufzug eilten. Ein Pfleger schob ein Kind auf einer Rollbahre vor sich her, ein zweiter hielt eine Infusionsflasche und versuchte Schritt zu halten.
Unter den Ärzten erkannte ich Stephanie, neben ihr zwei Zivilisten. Chip und Cindy.
Ich drängte mich zu ihnen durch, als sie schon im Lift waren. Mit Mühe schlüpfte ich noch hinein und kämpfte mich zu Stephanie vor.
Sie begrüßte mich mit einem flüchtigen Lächeln, doch weder Cindy noch Chip schauten auf. Sie wirkten niedergeschlagen. Cindy hielt Cassies Hand.
Niemand sprach, während der Lift in den fünften Stock fuhr. Erst als wir ausstiegen, bemerkte mich Chip, und wir tauschten einen sekundenschnellen Händedruck.
Die Pfleger schoben die regungslose Cassie auf die Privatstation, legten sie mit geübten Bewegungen in ihr Bett, hängten die Tropfflasche auf und schoben das Bettgitter hoch. Stephanie nahm die Krankenkarte von der Bahre und bedankte sich bei den Pflegern, die darauf das Zimmer verließen.
Cindy und Chip beugten sich über das Bett. Das Zimmer war dunkel bis auf ein bißchen graues Morgenlicht, das durch die zugezogenen Vorhänge schimmerte.
Cassies Gesicht wirkte wie eine leere, aufgeblasene Maske, geschwollen und ausgemergelt zugleich. Cindy hielt noch immer ihre Hand. Chip stand daneben und schüttelte den Kopf.
»Dr. Bogner wird gleich hier sein und auch dieser schwedische Doktor«, sagte Stephanie. Die beiden nickten abwesend. Wir gingen auf den Korridor hinaus.
»Ein neuer Anfall?« fragte ich.
»Ja, heute morgen um vier. Seitdem haben wir sie in der Mangel.«
»Und wie geht es ihr?«
»Sie ist jetzt stabil. Lethargisch. Bogner probiert all seine Diagnosetricks, hat aber noch nichts finden können.«
»War sie in Gefahr?«
»Nein, nicht in Lebensgefahr, aber du weißt ja, welchen Schaden wiederholte Anfälle anrichten können. Es könnte sein, daß sie jetzt immer häufiger werden.« Sie rieb sich die Augen.
»Wer ist der schwedische Doktor?«
»Ein Neuroradiologe namens Torgeson. Er hat einiges über Epilepsie bei Kindern veröffentlicht. Er gibt Vorlesungen an der Uni drüben, also dachte ich, wir könnten es mal mit ihm versuchen.«
Wir gingen zum Stationsschalter, den jetzt eine junge, dunkelhaarige Schwester besetzt hielt. Stephanie machte eine Notiz in Cassies Akte und bat, sie im Falle einer Änderung sofort zu benachrichtigen.
»Wo ist Vicki?« fragte ich, während wir weitergingen.
»Zu Hause, um auszuschlafen, hoffe ich. Ihre Schicht war um sieben zu Ende, doch bis halb acht war sie unten im Be handlungszimmer und hielt Cassies Hand. Wenn ich nicht darauf bestanden hätte, daß sie verschwindet, wäre sie noch für eine weitere Schicht geblieben, obwohl sie vollkommen fertig war.«
»Hat sie den Anfall miterlebt?«
»Ja, sie war am Stationsschalter, als Cindy die Klingel betätigte und hilferufend aus dem Zimmer gelaufen kam.«
»Und wann kam Chip dazu?«
»Kurz nachdem wir Cassie stabilisiert hatten, rief Cindy ihn zu Hause an, worauf er sofort herkam. Ich glaube, es war um ungefähr halb fünf. - Es war eine anstrengende Nacht, aber wenigstens gibt es jetzt unabhängige Zeugen für einen Anfall. Diesmal sind wir sicher, daß einer stattgefunden hat.«
»Und Cindy ist bestimmt nicht verrückt; das ist jetzt jedem klar«, bemerkte ich.
»Was meinst du damit?«
»Na ja, das hat sie gestern zu mir gesagt: Daß ihr sie alle für verrückt halten müßtet. Sie kam darauf, als wir darüber sprachen, daß sie die einzige ist, die Cassies Anfälle miterlebte, und daß das Kind sich immer wieder erholte, sobald es im Krankenhaus war. Sie meinte, man könnte ihr nicht glauben. Vielleicht machte sie sich wirklich Sorgen, aber es könnte auch sein, sie spürt, daß wir sie verdächtigen, und sie mich auf die Probe stellen wollte. Oder sie hat nur ein Spiel mit mir ge spielt.«
»Und wie hast du reagiert?«
»Ich hoffe, ich konnte sie beruhigen.«
»Seltsam«, sagte Stephanie nachdenklich, »sie macht sich Sorgen, ob wir ihr glauben, und prompt passiert etwas, das alle unsere Zweifel zerstreuen muß.«
»Ja, das Timing ist bemerkenswert. Wer außer Cindy war letzte Nacht noch bei Cassie?«
»Niemand, jedenfalls nicht die ganze Zeit. Glaubst du, sie hat ihr etwas gegeben?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hat sie ihr auch die Nase zugehalten. Oder die
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