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Exit

Exit

Titel: Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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der Brust und fühlte sich offenbar unbehaglich, vielleicht weil sie mir mehr Haut zeigte, als sie vorgehabt hatte.
    Ich trat ein, und sie schloß lautlos die Tür hinter mir. Die Wände des Korridors zierten eine blaue, kleinbedruckte Tapete und wenigstens ein Dutzend gerahmter Fotos: Schnappschüsse von Cindy, Chip und Cassie und zwei Fotos von einem hübschen Baby in Blau.
    Ein lächelnder kleiner Junge. Ich schaute weg und betrachtete ein größeres Foto, auf dem Cindy mit einer älteren Frau posierte. Cindy schien ungefähr achtzehn gewesen zu sein. Die andere Frau hatte eine Haut wie Leder, und ihre Lippen waren kaum sichtbare, dünne Striche. Beide trugen Sonnenbrillen; beide lächelten. Doch unter dem Lächeln der alten Dame war eiserner Wille zu erkennen. Im Hintergrund Bootsmasten und graugrünes Wasser.
    »Das ist meine Tante Harriet«, sagte Cindy.
    Sie schaute wieder auf ihre Uhr. »Cassie schläft noch. Sie hält um diese Zeit ihren Mittagsschlaf.«
    »Sie hat sich offenbar schnell wieder eingewöhnt«, sagte ich lächelnd. »Sehr gut.«
    »Ja, sie ist ein braves Kind. Ich schätze, sie wird bald aufwachen.«
    Sie klang wieder nervös.
    »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ich habe Eistee im Kühlschrank.«
    »Ja, gern.«
    Ich folgte ihr durch ein großzügig dimensioniertes Wohnzimmer. Drei der Wände waren mit Mahagoni-Bücherregalen bedeckt. Die Möblierung bestand aus Ledersofas und neu aussehenden Clubsesseln. In der vierten Wand waren zwei Fenster mit schweren Vorhängen. Die schwarz-grün karierte Tapete dazwischen ließ den Raum noch dunkler erscheinen und gab ihm eine clubartige, eindeutig maskuline Atmosphäre.
    War dies ein Zeichen von Chips Dominanz? Oder zeigte es nur Cindys Gleichgültigkeit, was die Innenausstattung betraf? Ich ging ein paar Schritte hinter ihr und beobachtete, wie ihre nackten Füße in dem dicken braunen Teppich versanken. Ihre Shorts hatten einen Grasfleck auf einer Seite. Ihr Gang war steif, beide Arme dicht am Körper.
    Wir gingen durch ein braun tapeziertes Eßzimmer in eine mit weißen Kacheln und Eichenfronten ausgestattete Küche, die groß genug war, einen Fichtenholztisch und vier Stühle zu beherbergen. Die verchromten Armaturen der Küchengeräte waren makellos sauber.
    »Setzen Sie sich doch«, bat sie mich.
    Sie legte eine Unterlage vor mir auf den Tisch und stellte ein hohes Glas Eistee darauf. »Es ist nur Fertigtee. Ich hoffe, er schmeckt Ihnen trotzdem.« Bevor ich antworten konnte, wandte sie sich ab, nahm einen Putzlappen und wischte über die einwandfrei sauberen Kacheln der Arbeitsfläche.
    Ich trank einen Schluck und versuchte mit einem Lächeln, den Kontakt zu ihr wiederherzustellen. Das Lächeln, das ich von ihr zurückbekam, war flüchtig und verkrampft, und sie schien zu erröten. Sie zog ihr T-Shirt herunter und preßte die Beine zusammen, dann putzte sie weiter, wusch den Lappen aus, faltete ihn zusammen und hielt ihn mit beiden Händen, als wüßte sie nicht, was sie damit tun sollte. Schließlich legte sie ihn hinter den Wasserhahn, riß ein Stück Haushaltspapier von einem hölzernen Halter und begann den Hahn zu putzen. War ihr Verhalten nun krankhaft, à la Lady Macbeth, oder war es nur ihre Art, mit der Anspannung fertig zu werden?
    »Sie sollte bald aufwachen«, sagte sie. »Gewöhnlich schläft sie von eins bis zwei.«
    »Während wir darauf warten: Haben Sie irgendwelche Fragen bezüglich Cassies Entwicklung? Oder sonst irgendwas?«
    »Mm … eigentlich nicht.« Sie biß sich auf die Lippen und polierte den Wasserhahn. »Ich wünschte nur, jemand könnte mir sagen, was mit ihr los ist.«
    Ich nickte, doch sie schaute aus dem Küchenfenster und reagierte nicht. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich über die Spüle und machte sich an den Blumentöpfen auf der Fensterbank zu schaffen. Sie rückte einen der Töpfe zurecht, dann einen zweiten. Den dritten ließ sie fallen. Er krachte auf die Spüle und zersprang. Die Blumenerde ergoß sich über den Fußboden.
    Sofort war sie auf allen vieren und begann, mit den Händen den Dreck zusammenzuschieben. Dann holte sie einen Besen aus dem Schrank und fegte den Rest hastig, geradezu wütend zusammen. Als sie den Besen wieder weggestellt hatte, reichte ich ihr ein Stück von der Haushaltsrolle.
    Sie war erhitzt und hatte Tränen in den Augen. Sie nahm das Stück Papier, ohne mich anzusehen, und wischte die Hände ab.
    »Entschuldigung, ich muß mich jetzt umziehen.«
    Kaum

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