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Exodus

Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DJ Stalingrad
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gesamten Zeit nur zu
wenigen ein vertrautes Verhältnis aufbauen konnte. Unter ihnen
war Timothy McVeigh, ein rassistischer Terrorist, der 1995 ein
öffentliches Gebäude in Oklahoma City in die Luft gejagt
hatte und vor seiner Hinrichtung im ADX einsaß.
Bei seinem Anschlag kamen 168 Menschen ums Leben, zum Großteil
Weiße. Niemand verstand, warum er das getan hatte. Nach seiner
Verhaftung erklärte Timothy, dass er sich bei seinen Aktionen
und seiner Kampfstrategie an den Turner Diaries von William
Pierce orientiert hätte – einer neonazistischen
Antiutopie, in der die Idee skizziert wird, dass die weiße
Herrschaft niemals durch eine Reformierung des bestehenden Regimes
oder durch Terror gegen Einzelpersonen erreicht werden könne –
der einzig richtige Weg sei die totale Zerstörung der gesamten
westlichen Zivilisation, das Provozieren eines dritten Weltkriegs und
ein abschließender Kampf der Rassen unter den Bedingungen eines
nuklearen Winters. Nur befreit von Elektrizität, jeglichem
Alltagskomfort und dem Opium der Medien könne der arische Mensch
endlich dem Ruf der nordischen Vorfahren Folge leisten und in den
Flammen eines neuen Armageddon siegen. Kaczynski war kein Rassist,
aber mit Timothy hatte er eine gemeinsame Sprache.
    Ted
steht über der ganzen Welt wie der Paladin eines neuen
Zeitalters, sein Schutz ist der Primitivismus, seine Waffe der
Terror. Er glaubt an nichts und niemanden, ist immer einsam, der
Schwächste, aller Dinge beraubt – und gleichzeitig
allmächtig.
    Es
ist spät nachts. Ich sitze in einem Café und schaue aus
dem Fenster. Friday Night, die Straßen sind voller Menschen,
obwohl es weit nach Mitternacht ist. Araber und Schwarze brüllen
und lachen vor den Eingängen der Bars. In dem Café, wo
ich sitze, drängen sich rund vierzig Leute, alle wärmen
sich auf, unterhalten sich, trinken Kaffee. Eine Stunde später
verlasse ich den Laden. Vor mir liegen fünftausend Kilometer,
fünf Übernachtungen wo auch immer, fünf von endlosen
Exzessen angefüllte Tage, und für all das habe ich ungefähr
zwanzig Euro. Die Sprungfeder ist bereit zum Losschnellen. Auf gehts.
    Ich
trinke meinen Kaffee aus, gehe auf die Straße, gehe durch die
fremde Stadt zum Busbahnhof. Tausende weißer Taxis rasen
vorbei, Leute drängen sich in Imbissen, es ist ordentlich kalt.
Ich setze mich in den Bus, fahre zum Hafen, besteige ein Kasinoschiff
mit zwölf Decks. Ich habe das billigste Ticket, ohne
Kajütenplatz, ich lege mich einfach auf ein Sofa in eine Ecke
des Spielsaals. Morgens wache ich vor Hunger auf, die zwanzig Euro
sind für den Zug. Ich krame in den Taschen, finde zwanzig Cent,
gehe ins Kasino, drücke auf den Knopf des Spielautomaten, und
plötzlich verwandeln sich die zwanzig Cent in fünf Euro.
Frühstück.
    Wir
fahren übers Meer, ich gehe in einem Industriehafen von Bord,
versuche drei Stunden lang, ein Auto anzuhalten, nix. Schließlich
wird die Polizei auf mich aufmerksam und jagt mich in die Wälder.
Ich verirre mich an den Klippen und komme in ein Dorf. Dort erzählen
mir russische Kinder, wie ich zu den Fernbussen komme, Halleluja.
    Das
Geld reicht nur für den halben Weg. Ich steige aus,
Schneetreiben, ich bin pleite. Es wird Abend. Ich gehe in die
Stadtbibliothek, um mich aufzuwärmen. Dort gibt es kostenloses
Internet und die gesammelten Werke von Solschenizyn. Ich checke Mails
– ein Bekannter aus Moskau schreibt, dass er gerade heute
hierhergekommen ist, um Freunde zu besuchen, und abends wieder
wegfährt. Wir treffen uns, gehen zum Bahnhof, klauen in
Geschäften auf dem Weg was zu Essen und Geschenke, setzen uns
ohne Tickets in einen zufällig vorbeikommenden Zug, tun so, als
hätten wir dort von der ersten Station an gesessen, der
Kontrolleur geht vorbei, wir fahren.
    Mein
ausländischer Bekannter ist aus Moskau hierher in seine Heimat
gekommen, um Verwandte und Freunde zu besuchen. Er kommentiert jedes
Städtchen, durch das wir fahren: »Hier habe ich gesessen.
Und hier. Und hier ist das Gefängnis echt scheiße.«
Seine Haftstrafe wurde in viele kleine aufgeteilt, weil er in Moskau
studierte und für die Prüfungen immer hinfahren musste ...
    »Jedes
Mal, wenn ich nach Hause komme, falle ich in eine abartige
Depression, ununterbrochen denke ich an Selbstmord. Dieses Land hat
die höchste Selbstmord­rate Europas, ich halte es hier nicht
länger als zwei Wochen aus. Es ist schlimm, ewige Finsternis,
nicht mal die Bäume sind echt. Die Bäume hier, wir sind
sehr stolz auf unser

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