Exodus
Opfer.
»Haut
ab! Ich schieße, ihr Säcke! Alle schieß ich
nieder!«, brüllt ein Scheißbulle der rechtzeitig
auftauchenden Einheit und stößt Kolja mit dem Kolben einer
Kalaschnikow weg. Statt zu gehorchen, geht Kolja zu ihm hin und haut
ihm eins in die Fresse, aber irgendwie ungeschickt, er ist
stockbesoffen und trollt sich in die Arme rechtzeitig auftauchender
Kampfgefährten, die seinen Körper zurück in den Wald
tragen. Die verfickten Bullen verlegen sich auf einen Sonderplan zur
Niederschlagung von Aufruhr, sofort rücken vier OMON-Busse
an, es beginnt die Säuberung des Waldstreifens. Wir laden unsere
Anlage ins Auto und treten auf Wildpfaden den Rückzug ins
Moskauer Umland an.
Es
ist Mitte April, der Schnee ist gerade erst geschmolzen, Schlamm,
Matsch, es ist ziemlich kalt. Wir sitzen mit den Musikern auf
Baumstümpfen und Stämmen und hören den abendlichen
Vogelgesang. Die Dämmerung setzt ein.
Einige
wurden damals trotzdem verhaftet, bei einem wurde eine Tüte mit
dreißig unserer CDs konfisziert. Das Konzert im Wald –
das war die Release Party unserer Demo-Aufnahmen. Die Bullen auf dem
Revier legten eine CD ein und waren von der ersten Sekunde an
geschockt.
»Verfickter
Wahnsinn!! Allein fürs Hören von dieser Scheiße muss
man die einlochen oder erschießen!!«
Lüge,
klaue, töte – böse Regeln, die für alle gelten;
Bullen und Politiker lügen nicht schlechter als du, wir oder sie
– wer überlebt in diesem Krieg? Einer muss die anderen
töten, einer muss der Schlimmste sein, einer muss sterben.
Lüge,
klaue, töte – heuchle und täusche; betrüge sie
alle! Du wirst nicht schlechter als du bist. Stehle, schummle, halte
durch! Du schaffst es als Erster! Du schaffst es als Erster! Du wirst
dadurch nicht schlechter als sie alle zusammen – lüge,
klaue, töte.
Geboren
in den Achtzigern, wurde in uns die Kindheit getötet. In einem
zerstörten Land versuchten wir, Menschen zu sein. Ich erinnere
mich, wie ich nicht gebraucht wurde, wie wir in kaputten Familien
aufwuchsen. Ich erinnere mich an die Minuten, in denen ich aus dem
Leben gehen wollte. Die langen Winter der Neunziger – das alles
ist jetzt Vergangenheit ...
Doch
der Tod verfolgt uns seit diesen beklemmenden Tagen, Schmerz und Leid
hinterlässt seine Spur. Eine Welt, in der alle sterben; die
Stadt – ein Mörder von Hoffnungen ...
Wer
deiner Liebsten kommt als nächstes nicht mehr nach Hause? Das,
was du liebst, wird als erstes zerstört. Ein Reiter auf bleichem
Pferd fliegt jeden Tag über Moskau, Tränen aus Augen der
Toten fallen als Regen vom Himmel.
Der
Mathematikprofessor Ted Kaczynski hatte der Menschheit den Krieg
erklärt. 1971 verließ er die Zivilisation und ließ
sich in den Wäldern des US-Staates Montana in einer
selbstgebauten Hütte nieder. Er ernährte sich von selbst
erlegten Kaninchen, kärglichem, selbst angebautem Gemüse
und Wurzeln, die er sammelte. Außerdem baute er in seiner
Abgeschiedenheit Sprengsätze, legte sie in Päckchen und
schickte sie an Adressen bekannter Laboratorien,
Wissenschaftszentren, Universitäten. Durch seine Aktionen kamen
drei Menschen ums Leben, neunundzwanzig wurden verletzt. Achtzehn
Jahre wurde er vom FBI gesucht, er bekam den Spitznamen Unabomber
(UNiversity Airline BOMBER). Ted wollte die
Gesellschaft lähmen, er zielte auf ihre verwundbaren Knoten –
Kommunikationssysteme, Transportmittel und wissenschaftliche
Einrichtungen. Die Gesellschaft erklärte ihn zum technogenen
Albtraum des 20. Jahrhunderts, sie machte ihn zum Feind Nummer Eins,
ein Monstrum, das fähig ist, jeden zu zerstören. Am 3.
April 1996 wurde Ted verhaftet, nachdem ihn sein leiblicher Bruder
identifiziert hatte. Jetzt sitzt er vier Mal lebenslänglich im
Bundesgefängnis ADX Florence in Colorado ab,
das zur Kategorie Supermax zählt und damit eines der am
stärksten bewachten Objekte in den USA ist.
Ted
hat mehrere Texte geschrieben, das Unabomber-Manifest Die
industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft , und Erzählungen,
von denen Ship of Fools die berühmteste ist.
Mittlerweile
hat Ted weltweit Tausende von Anhängern, er wird als einer der
Großväter des Anarcho-Primitivismus bezeichnet. Ich bin
mir nicht sicher, ob das korrekt ist. In seinen Arbeiten vertritt er
eher traditionelle rechte Ansichten. Doch möglicherweise ist das
auf dem Niveau von Aufrichtigkeit, das er erreicht hat, nicht mehr
wichtig. Interessant ist, dass Ted im Gefängnis äußerst
zurückhaltend war und während der
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