Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
habe heftig geweint, aber es war auch heilend, denn ich konnte ihm alles sagen. Ich konnte mich entschuldigen für die nicht so netten Sachen, die ich ihm im Lauf unserer gemeinsamen Zeit angetan habe, und ihm sagen, was alles so schön war mit ihm.
Das ist so wichtig. Wir sind heute so entfernt vom Tod. Das entwurzelt uns. Der Tod gehört zum Leben dazu von Anfang an. Von Geburt an beginnen wir zu sterben, deshalb ist es auch so wichtig, dass wir jeden Tag genießen, dass jeder Tag erfüllt ist mit Leben und mit Liebe und mit Abenteuern, großen und ganz kleinen. Aber kaum einer möchte heute etwas mit dem Tod zu tun haben. Das ist so falsch, weil doch das eine mit dem anderen verbunden ist. Früher hatte man den Toten noch eine ganze Zeit im Haus, und alle Familienmitglieder und Freunde konnten sich von ihm verabschieden. Das ist so schade, dass das heute nicht mehr gemacht wird. Heute ist das Abschiednehmen eher unpersönlich, kalt und macht vielen Angst.
In gewisser Weise fühlte ich es als Gnade, dass ich diesen Abschied haben konnte. Dass Bockhorn noch so lange bei mir sein durfte. Bereits am nächsten Tag saß ich abends mit dem Sarg bereit. Bockhorn sollte in einem Krematorium in L. A. verbrannt werden. Es gibt ein Gesetz, dass für den Transport eines Toten ein zweiter Sarg über dem normalen Sarg sein muss. Glücklicherweise war der Schreiner auch im Dorf und zimmerte in Windeseile noch den anderen Sarg zusammen, damit wir am Montag wirklich fliegen konnten.
Eine Verbrennung ist etwas Mysteriöses, aber auch Wunderbares. Ich hätte nie gedacht, dass Verbrennen so lange dauert. Das geht über Stunden, bis ein Körper wirklich aufgelöst ist. Asche zu Asche. Die Asche selbst war wunderschön. Man stellt sich normalerweise graue Feuerasche vor, aber das, was von einem Menschen bleibt, sieht anders aus: lauter kleine Blättchen, so wie im Sand. Schimmernde Mineralien: hellblau, hellgrün, rosa, gelb, hellbeige. Wunderschön. Ein Freund von mir hat dazu mal gesagt: »Underneath our skin we are all the same.« Schön, was übrig bleibt, egal, ob man vorher weiß, schwarz, rot oder gelb war …
Wir machen eine kurze Pause, und ich spaziere durch das große, lichtdurchflutete und sehr aufgeräumte Wohnzimmer. Zwischendurch bleibt der Blick hängen an bestimmten Gegenständen, die Uschi auf Bords, in den gemauerten Regalen oder an der Holzsäule in der Mitte des Raumes drapiert hat. Am Eingang steht die müde Kriegerin, die Bockhorn Uschi einst geschenkt hat. Dort die klassizistische Kommode, die er ihr in Hamburg gekauft hat. Oben an der Säule – dem mit allen möglichen Erinnerungsstücken, Tierfellen, Stoffen, Ketten geschmückten Totempfahl – hängt ein Stück Papier, auf das jemand mit großen schwarzen Buchstaben »Aim high« geschrieben hat.
»Von wem ist das?«
»Von einem guten Freund.«
Dann fällt mein Blick auf einen kleinen kunstvoll bestickten Beutel, den ich vorsichtig berühre.
»Uschi, woher hast du diesen Beutel? Was ist da drin?«
»Bockhorn«, kommt es aus der Küche. Aaarrgh. Ich zucke zurück voll ehrfurchtsvollem Grusel. Pardon, ich wollte Sie nicht anfassen … Später erklärt mir Uschi, dass sie unbedingt etwas von der Asche aufheben wollte. Panisch suchte sie nach der Verbrennung nach einem Gefäß, und da fand sie ein aus Naturstein gefertigtes Fläschchen. Ein Reisesouvenir. Kurze Zeit danach fiel ihr das Säckchen aus Afghanistan in die Hände, in welches das Fläschchen hineinpasste – »wie dafür gemacht«. Sie verzierte es später mit einem Amethystkristall, einem B aus schwarzer Koralle, das sie irgendwann gefunden hatte, und einem kleinen Totenkopf aus Horn. Er ist also immer noch da. Oder etwas von ihm.
Bella erzählt
Anna: Uschi sagt, sie hätte in all den Jahren einfach Glück gehabt …
Bella: Aber sie hat’s auch, wie soll ich sagen, richtig gemacht.
Anna: Offenbar gegen alle Widerstände. Ihre Mutter war ja lange Zeit nicht so begeistert von dem, was ihre Tochter beruflich machte.
Bella: Die hat sich immer geschämt. Das hing natürlich auch damit zusammen, dass sie selbst so eine Zurückhaltende war und diesen ganzen Aufruhr, den die Uschi damals in den Medien verursachte, ganz schlimm fand. Ich weiß noch, wie die Playboy -Fotos zu Uschis Fünfzigstem rauskamen. Da hat ihre Mama tatsächlich gemeint: Bitte schreib mir doch nicht immer nach Hause. Ich möchte nicht, dass die Nachbarn mitkriegen, dass du meine Tochter bist. Also mit ihren Eltern, das war
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