Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
eine ruhige Nachtwache einteilen konnten. Die Wache mußte nur nach Schiffen Ausschau halten, die uns zu rammen drohten. Der Mond, die Sterne und die Wellen, die sich nun wie gerade Furchen über das Meer zogen, zeigten der Nachtwache, daß der Kurs sicher gehalten wurde. Wer Wache schob, machte es sich in der geschützten Hüttenöffnung auf Lee gemütlich, und nur bei der Ablösung gingen wir auf die Brücke und warfen einen Blick auf den kleinen Kompaß. Aber bald lernten wir, daß der Sternenhimmel wie ein riesiger Kompaß über uns lag, der die leuchtende runde Drehscheibe nach unten kehrte. Wir fuhren direkt nach Westen. Wir kümmerten uns kaum darum, wohin wir segelten, denn jetzt entfernten wir uns auf jeden Fall vom Land.
So fuhren wir drei Tage ohne Schwierigkeiten und reparierten das zweite Steuerruder mit zusammengeflickten Stückchen von zwei gebrochenen Schäften. Wir verwendeten weder Spieker noch Nägel. Alle Laschen wurden aus Tauen gemacht, sonst wäre das Holz augenblicklich zersplittert. Ständig peitschten gewaltige Wellen gegen die Windseite der Ra , so daß die Papyrusrollen bis zur Reling hinauf noch feuchter wurden und die gefährdete Seite immer tiefer ins Wasser drückten. Solange die Wellen so hoch tanzten,'versuchten wir nicht, das andere reparierte Steuerruder auszubringen. Wir hielten es aber bereit, falls das erste brechen sollte, das sich in dem heftigem Kampf mit dem Meer oft gefährlich bog. Dagegen wagten wir es, das Segel ganz aufzuziehen - es klappte. Ein beißend kalter Nordwind wehte, obwohl wir noch die tiefe Wolkendecke über der Küste der spanischen Sahara erkennen konnten. Wir trugen soviel Ladung wie möglich nach Backbord auf die Leeseite, die noch ebenso hoch über Wasser lag wie bei der Abfahrt. Unsere schwere, breite Schilffähre fuhr nun mit einer gleichmäßigen Geschwindigkeit von fast 100 km in 24 Stunden -2,5 Knoten - nach Westen, und wir sahen deutlich das Kielwasser hinter uns. Nach elf Tagen waren wir 557 Seemeilen oder über 1 000 Kilometer Luftlinie gesegelt und mußten die Uhr um eine Stunde zurückstellen.
Zwei Tage lang tauchten immer wieder Schüfe auf. Einmal sahen wir drei große Ozeandampfer gleichzeitig. Wir befanden uns wahrscheinlich auf der Großkreisroute um Afrika. Um nächtlichen Kollisionen zu entgehen, mußten wir die stärkste Lampe in die Mastspitze hängen. Aber dann waren keine Schiffe mehr zu sehen, und nur eine Schar Delphine tanzte um uns herum; einige so nahe, daß wir sie streicheln konnten. Ab und zu trieb ein träger Mondfisch vorbei, und die ersten fliegenden Fische flohen vor dem Bug. In der Luft sahen wir dann kaum noch Tiere. Nur ein verirrtes Insekt summte zwischendurch an Bord, und ein paar muntere kleine Sturmvögel tauchten im Sturzflug in die Wellentäler. Der kleine Seevogel schläft auf dem Wasser, weil er so leicht wie Papyrus über die größten Wellen schwimmt. In den letzten Tagen waren aus Löchern im Papyrus scharenweise kleine braune Käfer gekrochen, und wir hofften nur, das Seewasser würde Eier und Larven töten, damit sie das Boot nicht langsam auffraßen. Die Skeptiker, die Kamele beim Fressen von der Bootsseite beobachtet hatten, prophezeiten, daß die Halme Futter für hungrige Seetiere abgeben würden. Bisher hatten weder Wale noch Fische versucht, unser schwimmendes Strohbündel anzuknabbern, aber diesem Ungeziefer trauten wir gar nicht.
Sonne und Mond zogen im Wechsel nach Westen und wiesen uns den Weg. Die einsamen Nachtwachen ließen uns die Ewigkeit ahnen; ich kannte dieses Gefühl von der Kon-Tiki her. Sterne, nachtschwarzes Wasser. Über uns glitzerten ewige Sternbilder, unter uns blinkte Meeresleuchten, lebendiges Plankton, das wie Phosphor auf schwarzem Samt funkelte. Oft schien es, als ritten wir auf einem tanzenden Spiegel unter dem Nachthimmel oder als sei das Meer kristallklar und bodenlos - wir glaubten durch das Universum zu blicken, die Sterne auf der anderen Seite des Planeten lagen uns zu Füßen. Das einzig Greifbare unter dem riesigen Himmelsgewölbe waren unsere weichen goldenen Schilfrollen und das große viereckige Segel, oben an der Rahe breiter als unten an Deck, das wie ein Schatten vor den Sternen stand. Die schwarze Kontur des trapezförmigen altägyptischen Rahsegels genügte allein, die Zeitenuhr um Tausende von Jahren zurückzudrehen; solche Schatten ließen die Gegenwart verdämmern. Und dann das fremdartige Ächzen und Knarren von Papyrus, Bambus, Holz und Reeps ...
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