Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
den gekrümmten Bug und das Mittelteil des weichen Decks in der Waagerechten. Alles, was weiter achtern lag, mußte den Wellenbewegungen folgen.
Täglich lobten wir die geniale Anordnung und besondere Funktion der Takelung. Nicht zuletzt der seeerfahrene Norman begriff sogleich, was das bedeutete. Schon nach dem dritten Tag auf See schrieb ich in das Tagebuch: »Diese Takelung ist das Resultat langer Navigationserfahrung auf offener See und wurde nicht auf dem ruhigen Nil ersonnen.«
Dagegen dauerte es lange, ehe wir ein anderes Detail der eigenartigen ägyptischen Schiffsarchitektur begriffen - und das sollte uns teuer zu stehen kommen. Jeden Tag wunderten wir uns über den breiten, nach innen gebogenen Schnörkel des hochaufgerichteten Achterstevens. Welchem Zweck diente er? Wir verließen uns absolut nicht auf die Ägyptologen, die sich damit zufriedengaben, diesen Schnörkel als schmückendes Beiwerk zu erklären. Aber dennoch vergingen die Tage, ohne daß wir irgendeine praktische Funktion erkennen konnten. Trotzdem kontrollierten wir genau, ob sich der Schnörkel nicht gerade bog. Er stand unerschütterlich; unsere Freunde aus dem Tschad hatten so gründliche Arbeit geleistet, daß er frei stand und nicht mit einem Tau an Deck befestigt werden mußte. Nur einen Fehler hatten wir gemacht: In den ersten Tagen hatten wir die Ladung wie bei einem gewöhnlichen Segelboot verstaut. Kein Mensch, nur unsere bittere Erfahrung bei langen Fahrten in der Passatzone hatte uns gelehrt, daß ein Papyrusboot auf Lee beladen sein muß. Durch das viele Wasser, das wir schon auf der Windseite gezogen hatten, kam das Dollbord der Wasserfläche immer näher. Das fiel achtern an Steuerbord am meisten auf. Dort konnten wir uns allmählich außenbords waschen, ohne wie sonst auf dem Boot mit dem Kopf nach unten hängen und die Beine in die Luft strecken zu müssen. Außerdem erledigten wir dort den ganzen Abwasch, und im Grunde fanden es alle ungeheuer praktisch.
Am 4. Juni wurde die See viel ruhiger, und am nächsten Morgen erwachten wir in einer neuen Welt. Es war schön und warm geworden, die Wellen kräuselten sich sanft. Wieder statteten uns fünf große Wale eine Stippvisite ab; ein majestätischer Aufzug. Vielleicht waren es dieselben, die uns vorher schon besucht hatten. Ein schöner Anblick, wie sie sich in ihrem Element tummelten; wir dachten mit Grauen daran, daß die Menschen vielleicht bald ihre Harpunen in die letzten warmblütigen Meeresriesen schießen würden, so daß sich dann nur noch kalte U-Boot-Stahlrümpfe in den großen Meerestiefen tummelten.
Es war so schön und warm, daß Georges die Kleider auszog und mit einem Tau um den Leib über Bord sprang. Er verschwand mit Tauchermaske unter der Ra und kam mit einem Jubelschrei wieder hoch, der Juri und Santiago veranlaßte, an ihrem Tau hinterherzuspringen. Wir anderen hielten Wache und warteten, bis wir an der Reihe waren. Nur Abdullah blieb in der Hüttenöffnung zurück und ließ den Kopf hängen. Wenn der Wind nicht wieder aufkam, würden wir hier liegenbleiben und Amerika nie erreichen. Norman tröstete ihn mit Erzählungen über die unsichtbare Meeresströmung. Vielleicht könnten wir in 24 Stunden nicht wie in den vergangenen Tagen über 100 Kilometer hinter uns legen, aber fünfzig würden wir sicher schaffen.
Bald waren alle außer Abdullah unter dem Bug der Ra gewesen. Er wusch sich im Segeltucheimer an Bord und kniete lange im Gebet gen Mekka. Vielleicht bat er um Wind.
Nach einem erfrischenden Salzwasserbad fühlten sich alle wie neugeboren. Auch war es ein ganz großes Erlebnis, die Ra von der Unterseite sehen zu können. Wir fühlten uns wie kleine Lotsenfische, die unter dem geschwungenen Bug eines gigantischen Goldwals schwammen. Die Sonnenstrahlen wurden wie Scheinwerfer aus der Tiefe reflektiert und spielten über uns in den Papyrusbündeln. Meer und wolkenloser Himmel erstrahlten in leuchtendem Blau um den großen goldenen Wal, der über uns leuchtete. Er schwamm so schnell, daß wir an den Reepen hinterhergezogen wurden, wenn wir nicht mit aller Kraft in dieselbe Richtung schwammen. Zum ersten Mal entdeckten wir zebragestreifte Lotsenfische. Sie schwammen ebenso exakt in Fächerformation vor dem Schilfbug, wie ich sie vor den Baumstämmen der Kon-Tiki hatte schwimmen sehen. Wir fuhren an einem großen afrikanischen Baumstumpf mit Wurzeln vorbei, der sich mit der Dünung schwerfällig hob und senkte. Ein kleiner dicker Pampano- Fisch guckte
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