Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
außerordentlich dunkelhäutig, andere dagegen groß, hellhäutig und blond, mit blauen Augen. Noch heute sind die Nachkommen dieser beiden marokkanischen Urtypen in entlegenen Gegenden Marokkos weit verbreitet.
Wir sahen zu den Wolken über dem Vulkankegel hinüber, der auf den Kanarischen Inseln hoch in den Himmel ragte. Bei klarem Wetter war er von der marokkanischen Küste zu erkennen. Man brauchte nicht nach Skandinavien zu fahren oder auf den Grund des Atlantiks zu tauchen, um die wahrscheinliche Heimat der Guanchen zu finden. Sie konnten ganz einfach von der Urbevölkerung des nächsten Kontinents abstammen, der es im Altertum gelungen war, denselben Meeresteil zu überqueren, den wir nun mit unserem selbstgebauten Schilfboot passiert hatten.
Das wahre Mysterium der Guanchen auf den Kanarischen Inseln lag nicht so sehr in der Frage nach ihrer Identität, sondern in der Frage, wie sie dorthin gekommen waren. Als die Europäer sie einige Generationen vor der Reise des Kolumbus fanden, besaßen sie keinerlei Boote, nicht einmal ein Floß oder ein Kanu. Aber auf den Kanarischen Inseln wuchsen große Bäume; so fehlte es ihnen nicht an Holz. Sowohl die dunkel- als auch die hellhäutigen Guanchen waren ausgesprochene Landratten, sie betrieben nur Ackerbau und züchteten Schafe. Es war ihnen gelungen, von Afrika lebende Schafe auf die Insel zu bringen. Um die afrikanische Küste mit Frauen und lebenden Schafen an Bord zu verlassen, muß man Seefahrer oder Fischer sein - auf jeden Fall nicht nur Hirte. Warum hatten die Guanchen dann die Boote ihrer seefahrenden Ahnen vergessen? Weil die Ahnen keine anderen Boote kannten als Schilfboote mit Segeln, Madia , wie sie an der marokkanischen Nordküste bis in unsere Tage überlebt haben? Ein Bootsbauer, der nur Schilfflöße herstellt und nie gelernt hat, flache Bretter zu einem hohlen, wasserdichten Boot zusammenzunageln, wird auf dem Ufer hilflos zurückbleiben, wenn sein eigenes Schilfboot an Altersschwäche eingeht und auf der Insel, auf der es gelandet ist, weder Papyrus noch anderes schwimmendes Schilf wächst.
Plötzlich begann die Ra zu schaukeln und so jammervoll zu ächzen, daß wir die Guanchen ihrer Wege ziehen lassen mußten und an das Segel stürzten, das zu flattern begann. Der Wind wehte unverändert, aber wir waren in ein immer höher werdendes Wellengebirge geraten, wir sanken in immer tiefere Täler, die Wellenkämme warfen sich von oben gegen uns, brachen aber nie über uns herein, weil unser goldener Papyrusschwan nur den hohen Steert elegant hob und die Wellen ebenso schnell unter sich wegrollen ließ, wie sie gekommen waren. Abdullah bekam Kopfschmerzen und übergab sich. Juri vermutete, daß er seekrank sei, wenn sich auch bisher keine Symptome dafür gezeigt hatten. Er schickte Abdullah mit trockenen ägyptischen »Mumien«-Keksen ins Bett. Dagegen durfte Santiago schon an Deck kommen und mit uns anderen zu Mittag essen. Norman war in bester Verfassung.
Wir saßen um den Hühnerkäfig und ließen uns Carlos warmen Risotto mit Mandeln und getrockneten Früchten schmecken, als jemand rief: »Da oben!« Wir sahen alle erschrocken hoch und sprangen auf - über das Hüttendach wälzte sich ein riesiger Brecher. Aber er schrumpfte zu einer kleinen Kammwelle, die schäumend unter unseren Schilfbündeln dahinschoß, während wir in ein tiefes Wellental hinunterstarrten. Weitere solcher Wellen folgten. Wenn sich das Meer ohne sichtbaren Grund derart verhält, dann gewöhnlich vor einer Flußmündung, an der die Wellen von einer starken Strömung immer höher gepeitscht werden. Wahrscheinlich waren wir in eine Zone geraten, in der die starke Meeresströmung von Portugal noch zunahm, da die Wassermassen in den engen Meeresstraßen zwischen den größten Kanarischen Inseln zusammengedrückt wurden.
Dadurch wurde die Geschwindigkeit in unserer Richtung noch erhöht. Es war der Kanarienstrom, der bis zum mexikanischen Golf fließt.
Hoch, hoch, hoch und tief hinunter. Abdullah schlief und verpaßte die fünf großen Pottwale, die direkt neben dem Papyrus hochkamen und wegtauchten, bevor Carlo seine Kamera holen konnte. Hoch und tief, tief, tief hinunter. Dann krachte und knackte es wieder irgendwo im Holz. Noch ein kleines Paddel war zerschmettert worden, an der Außenseite der Papyrusrolle hing nur noch ein Stückchen vom Schaft. Auch die kleinen Ruder wurden weniger. Sollten wir versuchen, die Kapverdischen Inseln anzusteuern, um uns solideres Holz zu
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