Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
sehen. Nun lagen sie wieder dort, diesmal mit Reihen von kleinen Häusern: ein typisches nordafrikanisches Araberdorf. Rechts von den Häusern lag ein malerisches altes Fort - Kap Juby. Jetzt glitten wir an der verräterischen Landzunge vorbei, die eine ganze Woche in unseren Köpfen gespukt und jahrhundertelang so viele Seeschäden verursacht hatte. Eine Woche hatten wir hart gearbeitet, um von Land wegzusteuern, und hier passierten wir Kap Juby mit dem Strom, nur einen Büchsenschuß entfernt.
Die weißen Häuser verschwanden ebenso schnell im Meer, wie sie aufgetaucht waren. Auf Wiedersehen, Afrika! Auf Wiedersehen, Alte Welt! Wir haben kein Ruder. Auf dieser Reise brauchen wir keines.
Eine große Möwe segelte herüber und ließ sich auf das emporstrebende Papyrusbündel des Bugs nieder. Sie wurde von der Ente verjagt, die wir vor dem Hühnerkäfig frische Luft schöpfen ließen. Die Möwe flog auf und verschwand. Bald darauf umkreiste uns ein ganzer Schwärm schreiender Seevögel, und in dem Käfig, den wir als Eßtisch benutzten, gackerten die Hühner.
»Ich weiß genau, was die erste Möwe den anderen an Land erzählt hat«, sagte Carlo. »Sie hat erzählt, daß sie vor Kap Juby ein schwimmendes Vogelnest entdeckt hat!«
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In der Gewalt des Meeres.
Alle Brücken werden abgebrochen
D IE K ANARISCHEN I NSELN LAGEN HINTER UNS . I N ACHT T AGEN HATTEN wir eine Strecke zurückgelegt, die der von Norwegen über die Nordsee nach England entsprach. Einen Kahn, der auf einer so langen Fahrt nicht den kürzeren zieht, bezeichnet man gewöhnlich als seetüchtig. Trotz gebrochener Steuerruder und Rahe, trotz laienhafter Behandlung durch unerfahrene nichtägyptische Landratten, trotz Sturm und Strömung schwamm die Ra noch wie am ersten Tag. Alle Ladung war noch vor den Wellen sicher. Wir fuhren bei hohem Seegang, der nicht viel mit dem trägen Lauf des Nils gemeinsam hatte.
Wir hatten die Kanarischen Inseln bei schlechtem Wetter passiert, ohne Land zu sehen. Jetzt wölbte sich der Himmel blau über uns, und wir sahen die flache Wolkendecke, die tief über der afrikanischen Küste von Rio de Oro lag und backbord die Lage des Kontinents markierte; die Lage der Kanarischen Inseln, steuerbord hinter uns, wurde deutlich von der über dreitausend Meter hohen Spitze des sonst unsichtbaren Vulkankegels Teides auf Teneriffa gekennzeichnet. Er spie unablässig kleine Wolken aus, die der Wind wie den Rauchstreifen eines großen Dampfers übers Meer wehte.
Abdullah kannte keine anderen Inseln als die schwimmenden Papyrusinseln auf dem Tschadsee. Er war ganz entgeistert, als er hörte, daß hier weit draußen in dem wilden Meer bewohnte Inseln lagen. Er wollte wissen, ob die Bewohner Schwarze oder Weiße waren. Santiago hatte auf den Kanarischen Inseln gewohnt und war Anthropologe. Er erzählte uns von den mystischen Guanchen , die auf diesen fernen Inseln gelebt hatten, als die Europäer sie »entdeckten«, einige Generationen, ehe sie noch weiter segelten und Amerika entdeckten. Manche Ureinwohner der Kanarischen Inseln waren dunkelhäutig und eher von kleinem Wuchs, andere dagegen groß und hellhäutig mit blauen Augen, blondem Haar und Adlernase. Eine Pastellzeichnung aus dem Jahre 1590 zeigt eine Gruppe solcher Guanchen mit goldenem Vollbart; alle sind hellhäutig, tragen langes, blondes Haar, das in sanften Wellen über den Rücken herunterfällt. Santiago konnte auch von einem reinblütigen Guanchen mit blondem Haar berichten, den er persönlich aus seiner Studentenzeit an der Universität Oxford kannte. Dieser Guanche war eine Mumie, die man von den Kanarischen Inseln nach England gebracht hatte. Die Urbevölkerung der Kanarischen Inseln hatte Mumifizierungen und Schädeltrepanationen vorgenommen, wie es auch im alten Ägypten der Brauch war. Die Tatsache, daß die hellhäutigen Guanchen eher Wikingern als »Afrikanern« glichen, führte zu endlosen Spekulationen über eine uralte nordische Kolonisation oder gar zu Theorien, daß die Kanarischen Inseln Reste des versunkenen Atlantis seien. Aber Mumifizierungen und Schädeltrepanationen wurden im Norden nicht vorgenommen; dies und viele andere Züge verbinden die Guanchen deutlich mit den alten Kulturen an der nordafrikanischen Küste. Die Urbevölkerung Marokkos - unter ihnen die Berber, die von Arabern vor über tausend Jahren nach Süden in die Atlasberge verdrängt wurden - war eine den Guanchen sehr ähnliche Mischrasse. Einige waren von kleinem Wuchs und
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