Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Juri und Norman Strümpfe zu waschen und versuchten, einen Reim auf Submarine zu finden.
Was ich am meisten fürchtete, war nicht so sehr die Frage, ob sich das Papyrusschiff auf die Dauer mit dem Meer vertragen würde, sondern ob wir sieben an Bord uns auf die Dauer vertragen würden. In der 2,8 X 4 m großen Korbhütte hatten wir nicht einmal Ellenbogenfreiheit, wenn wir uns hinlegten, und das Papyrusdeck stand so voller Krüge und Körbe, daß man nicht einmal einen Fuß dazwischenstecken konnte. Deshalb befanden wir uns gewöhnlich auf der schmalen Papyrusrolle auf Lee vor der Backbordhüttenwand und auf der kleinen Brücke. Alle waren Tag und Nacht in Hör- und Reichweite. Wir waren wie siebenköpfige siamesische Zwillinge zusammengewachsen und hatten sieben Münder, die in sieben Sprachen redeten. Wir waren nicht nur Schwarze und Weiße aus kommunistischen und kapitalistischen Ländern; auch an Ausbildung und Lebensstandard gemessen waren wir denkbar verschieden. Als ich den einen Afrikaner in seinem Haus in Fort-Lamy besuchte, saß er auf einer Matte, die den Fußboden zierte; seine ganze Einrichtung bestand aus einer Paraffinlampe mitten auf der Matte, sein Paß und seine Fahrkarten lagen in einer Ecke auf der Erde. Bei dem zweiten Afrikaner in Kairo führten mich Diener unter ständigen Verbeugungen durch Säulen in ein reiches orientalisches Haus mit schweren französischen Möbeln, Gobelins und altem Erbgut. Einer der Männer konnte weder lesen noch schreiben, ein anderer war Universitätsprofessor. Einer war aktiver Pazifist, ein anderer Offizier. Abdullahs Lieblingsbeschäftigung bestand darin, vor seinem kleinen Transistorradio zu hocken und uns Nachrichten von dem Krieg am Sueskanal zu servieren, den er selbst flüchtig erlebt hatte. Seine Negerregierung in Fort-Lamy hielt es mit Israel; nun hatte sie Frankreich um Fallschirmjäger gebeten, die den arabischen Aufstand im Distrikt Bol unterdrücken sollten; in diesem Distrikt waren wir gewesen. Abdullah war fanatischer Mohammedaner und hielt deswegen zu den Arabern. Norman war Jude; Georges war Ägypter. Ihre Verwandten schossen über den Sueskanal aufeinander, sie selbst lagen vereint in einer Korbhütte auf dem Atlantik. Mit derselben Inbrunst lieferte Abdullah auch Nachrichten vom Vietnamkrieg. Er war höchst verwirrt darüber, daß Juri und Norman, beide Weiße, aus zwei feindlichen Staaten kamen, die den Frieden wollten und deswegen den Vietnamesen halfen, sich gegenseitig zu töten. Er wollte, daß sich Norman und Juri einigten. Es gab reichlich Zündstoff für eine Explosion an Bord. Unser Papierboot glich einem Pulverfaß; nur die allgegenwärtigen Wellen konnten die heißen Köpfe in der kleinen Kapsel abkühlen.
Die größte Gefahr jeder Expedition, auf der Männer wochenlang zusammengepfercht leben, ist ein seelisches Leiden, das man »Expeditionsfieber« nennen könnte, ein psychischer Zustand, in dem auch der friedlichste Mensch mürrisch, zornig, wütend, verzweifelt ist; sein Blickwinkel verengt sich zusehends, er sieht nur noch die Fehler seiner Kameraden, ihre Vorzüge registriert er nicht mehr. Es ist die erste Pflicht eines Expeditionsleiters, jederzeit vor dieser schleichenden Krankheit auf der Hut zu sein. Das wird allen Männern in den Tagen vor dem Start kräftig eingebleut.
Darum erschrak ich ziemlich, als ich schon am dritten Tag auf See hörte, wie der friedliche Carlo Georges auf italienisch zubrüllte, daß er doch verflucht schlampig sei und ein Kindermädchen brauche, auch wenn er Judo-Champion sei. Georges gab Kontra, aber nach einem raschen und hitzigen Wortgefecht hörten wir am Ende nur wieder den Papyrus, der knarrte und ächzte. Am nächsten Tag hatten die beiden wieder einen Riesenkrach. Carlo zog Pardunen an, Georges warf wütend seine Angelrute weg und kroch demonstrativ ins Bett. Auf der Brücke vertraute mir Carlo an, ihm gehe der Playboy Georges allmählich auf die Nerven. Carlo hatte schon mit zwölf Jahren schwere Reissäcke schleppen müssen. Er hatte sich ohne Schulbildung mit seinen Händen hochgearbeitet. Dieses Muttersöhnchen aus Kairo sei ein verwöhnter Hallodri, der alles irgendwo hinwarf und erwartete, daß wir es für ihn wegräumten. Ich versprach, mit Georges zu reden. Wie Carlo dachte ich, daß Georges noch nicht begriffen hatte, was eine Expedition ist. Er glaubte, das Ganze sei ein neues Spiel, ein Muskelwettstreit. Aber Carlo sollte auch verstehen, daß Georges bisher in einem Haus gelebt
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