Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
wir versuchten, den Achtersteven mit einem solchen Reep aufzurichten, würde der Mast in der ersten Dünung brechen, die unter uns hinwegrollte. Wir mußten dem Achtersteven Spielraum lassen. Er durfte nur nicht ständig so geknickt herunterhängen. Wir versuchten, ihn mit Reepen hochzuziehen, die an jeder Seite der Hütte schräg angezogen waren. Wir versuchten, dicke Strecktaue von dem Steert über das Brückengeländer und weiter über das Hüttendach bis zu Pfählen zu spannen, die wir auf dem Vorderdeck errichteten. So kam die Steifheit der altägyptischen Holzschiffe zustande, aber kein Papyrusboot war so abgebildet. Und wie sehr wir auch alle diese Taue spannten und anzogen - es gelang uns doch nicht, das Achterteil wieder anzuheben. Carlo schlug allerlei geniale Knoten und zog mehr als jeder andere an den nassen Reeps, bis seine Handflächen wie weiße Makkaroni anschwollen.
Die Tage vergingen. Mit jedem Tag schwappte achtern immer mehr Wasser herein. Während der Boden unter ihm langsam versank, stand der schöne Schnabel oben auf dem Achterstert mit demselben eleganten Bogen wie zuvor da, er schien seine stattliche Form nicht zu verlieren. Aber er erfüllte keine sinnvolle Funktion und wurde allmählich für das schwache Achterdeck, das ihn oben hielt, zu einer Belastung. Durch die Sturmwellen, die dieses hochaufgerichtete Achterteil überflutet hatten, hatte es über der Wasserlinie eine Menge Seewasser gezogen. Weil der Achtersteven breit und dick war und sich weiter als das Hüttendach nach oben krümmte, mußte er jetzt, feucht wie er war, mindestens eine Tonne wiegen. Sollten wir ihn abschneiden? Dann würde vielleicht der Boden unter ihm wieder hochkommen. Aber das war ebenso, als würde man einem Schwan den Schwanz abschneiden. Wir konnten es nicht übers Herz bringen, unsere stolze Ra zu verunstalten.
Aber wie, wie zum Teufel, hatten die Erbauer dieses in seiner Eigenart sinnvollen Fahrzeugs den prangenden Steert ohne ein Tau, das ihn hochzog, oben halten können? Im Gegenteil, sie hatten ja ein Tau gehabt, das ihn nach unten zum Deck zog, aber das war von unseren Bootsbauern aus dem Tschad glücklicherweise entfernt worden. Bis jetzt hatten wir es nicht vermißt. Oder? Ich warf die Kokosnuß weg, die ich ausschabte, und begann wie ein Verzweifelter zu zeichnen. Donnerwetter! Ich rief Norman, Santiago, Juri, Carlo, alle. Ich hatte den Fehler gefunden. Wir hatten die ursprüngliche Bedeutung des Schnörkels nicht begriffen. Nur bittere Erfahrung hatte uns dies lehren können, denn alle, denen die Bedeutung des Schwanzschnörkels von seinen Erfindern überliefert war, lagen seit Jahrtausenden in ihren Gräbern. Die sonderbare Krümmung über dem Achterdeck diente nicht zur Verzierung. Das Tau, von dem alle glaubten, es sollte nur den Schwanzschnörkel straff halten, hatte eine ganze andere Funktion. Der Schwanzschnörkel stand von allein. Das Tau sollte nicht die Schwanzspitze nach unten, sondern das Achterdeck nach oben ziehen. Der hohe harfenförmige Achtersteven war als Sprungfeder mit einem kräftigen Strang gedacht, der das frei schwingende Achterteil auf dieselbe Weise hochhalten sollte, wie die Pardunen an den Masten das übrige Papyrusboot hochhielten. Damit das Papyrusschiff auf offener See nicht brach, war es von seinen genialen Erbauern in zwei zusammenhängende Komponenten geteilt worden. Das Mittelschiff wurde von den parallelen Pardunen des Schrägmastes versteift, das Achterteil konnte frei schwingen, kehrte aber durch den Bogenstrang an der großen Sprungfeder, die sich über ihn einrollte, immer wieder in seine alte Lage zurück.
Wir banden den Bogenstrang an seinen Platz fest, aber nun war es zu spät. Nach drei Wochen hatte sich das Achterteil geknickt, und ohne einen festen Punkt über der Schwanzspitze würde kein Reep den Schaden wiedergutmachen. Wir mußten leiden, weil wir den Schwanzschnörkel wie alle anderen für eine Verzierung um ihrer selbst willen gehalten hatten -er war jedoch ein geniales Mittel zum Zweck.
Juri und Norman stellten sich achtern in den Tümpel und starrten auf den goldenen Schwanz, der allmählich unterging. Dann begannen sie zu singen:
»We don't want a yellow submarine, a yellow submarine, a yellow submarine .. .«•
Sie wollten kein gelbes U-Boot haben und wir anderen auch nicht; deshalb standen wir bald alle sieben achtern und sangen Juris Refrain im Chor. Ernster nahm es keiner. Das übrige Boot schwamm ja wie ein Sektkorken, und so begannen
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