Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
ebenso trocken wie bisher.
Am 17. Juni erreichte das Unwetter seinen Höhepunkt. Der Wind drehte nach Osten, und die hohen Wellen wurden regelmäßiger. Überall fanden wir fliegende Fische, ein kleiner Bursche schwamm sogar im Kaffeekessel. Wir mußten wieder in die Hauptströmung geraten sein, denn dank einem schmalen Spalt in der schweren Wolkendecke konnte Norman melden, daß wir in den letzten 24 Stunden 80 Seemeilen, 148 Kilometer, gefahren waren - überdies mit einem breiten Achterteil, das wie ein Krabbenschwanz hinunterhing und bremste. Die Strecke machte sich sogar auf der Weltkarte bemerkbar.
An den schlimmsten Unwettertagen bewegten wir uns etwa 500 Seemeilen vor der westafrikanischen Küste, Kurs direkt auf die Kapverdischen Inseln, westlich von Dakar. Der Nordwind und der Strom trugen uns direkt auf diese große Inselgruppe zu, die jeden Augenblick vor uns auftauchen konnte, und das gab uns ein unangenehm unsicheres Gefühl, als wir im Unwetter mit einem widerspenstigen Achterteil kämpften. Eines späten Abends, als die Inseln in der Finsternis am schlimmsten spukten, holte Norman die U. S. Sailing Directions für dieses Gebiet heraus und las uns beim Schein der Paraffinlampe daraus vor. Sie schwang an der unruhigen Decke und ließ unsere Schatten rhythmisch tanzen, im Takt mit dem ohrenbetäubenden Spukorchester.
Wir erfuhren, daß Wolkenbänke und Dunst so dicht um die gebirgigen Kapverdischen Inseln liegen können, daß die Brandungen an der Felsenküste oft auftauchten, ehe man das Land selbst erblickt, obwohl die höchsten Bergspitzen 2 000 Meter emporragen. Außerdem fließen um die Inseln kräftige, heimtückische Strömungen, die schon zahlreiche Schiffbrüche verursacht haben. Die Dünung, die um die Inselgruppe rollte, war bei Mondwechsel besonders gewaltig. »Deswegen ist es erforderlich, große Vorsicht walten zu lassen, wenn man in der Nähe dieser Inseln kreuzt«, endete Norman.
»Habt ihr das gehört? Seid vorsichtig, Männer!« sprach Juri und zog den Schlafsack hoch und die Fellmütze hinunter, bis sich beide auf der Nase begegneten.
Wir hatten gerade Mondwechsel. Die Nacht war ebenso pechschwarz, wie der Tag diesig gewesen war. Seit den letzten vier Tagen befanden sich die Inseln direkt in Fahrtrichtung vor uns, und jetzt mußten sie gleich irgendwo vor uns liegen. Vielleicht würden sie noch in der Nacht oder am nächsten Morgen auftauchen, wenn wir von einer starken südlichen Nebenströmung ergriffen wurden. Es regnete aus tiefliegenden Wolken, und weder Sextant noch Nasometer konnten uns sagen, wo wir uns befanden.
Der 18. Juni war ein dramatischer Tag. Die Kapverdischen Inseln mußten irgendwo in Nebel und Regenwolken eingehüllt und verborgen vor dem Bug oder an der Backbordseite liegen. Vor gut zwei Wochen waren wir an den Kanarischen Inseln vorbeigefahren, ohne sie in den Wolkenbänken zu sehen. Aber heute hatten wir ernsthaftere Probleme als die Gefahren, die draußen lauerten. Seit fünfundzwanzig Tagen lebten wir in gutem Einvernehmen auf den Papyrusbündeln zusammen, und das Schiff schwamm seit etwa einem Monat im Salzwasser. Trotz aller Widrigkeiten war die Ra über zweitausend Kilometer gesegelt, um die ganze Nordwestküste Afrikas herum, und nun sollte die Fahrt von Kontinent zu Kontinent, quer über den Atlantik, ernstlich beginnen. Wenn die Ägypter von der Nilmündung entsprechend weit gefahren wären, wie wir jetzt von Saß, wären sie auf dem Don tief in russisches Gebiet eingedrungen oder bis vor Gibraltar gekommen. Das Mittelländische Meer war nachweislich zu klein, um die Reichweite eines Papyrusbootes zu erschöpfen.
Dieser verdammte Achtersteven! Wenn die alten Schriftgelehrten nur eine Gebrauchsanweisung hinterlassen hätten, dann hätten wir vorher die Prinzipien des Papyrusbootes begriffen, dann hätten wir der Oberquerung des Weltmeeres ohne Probleme entgegensehen können. Jetzt krochen die Wellen nicht länger unter uns weg und hoben uns hoch. Sie kamen achtern zu uns herauf und drückten uns nach unten. Letzte Nacht hatte sich eine große Welle über die Hüttenwand gewälzt, und ich erwachte, weil mir ein eiskalter Eimer Wasser über den Kopf geschüttet wurde. Das Salzwasser lief in den Schlafsack.
»Jetzt fangen die Schwierigkeiten an, Männer«, gab ich zu.
Da warf Santiago ein Streichholz in ein Pulverfaß.
»Zersägen wir doch das Rettungsfloß«, sagte er plötzlich.
»Natürlich«, antwortete ich. »Jetzt haben wir die beiden kleinen
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