Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Papyrusboote aufgetrennt, dann können wir auch das Rettungsboot zersägen.«
»Ich meine es ernst«, sagte Santiago. »Wir müssen versuchen, den Achtersteven anzuheben. Wir haben keinen Papyrus mehr, aber das Rettungsfloß ist aus Schaumstoff, den wir in Streifen sägen und so verwenden können, wie die Ägypter Papyrusreserven benutzt hätten.«
»Er ist verrückt geworden«, murmelte es in mehreren Sprachen rings um uns.
Aber Santiago blieb hartnäckig und wollte nicht nachgeben.
»Du hast nur ein Rettungsfloß für sechs Mann mitgenommen, und wir sind sieben«, sagte er herausfordernd zu mir. »Du hast ausdrücklich gesagt, daß du selbst nie in das Rettungsboot steigen willst.«
»Die nächste Größe war ein Zwölfmann-Floß«, erklärte ich. »Es war zu groß. Aber es stimmt, ich bleibe auf unserem großen Schilfboot zurück, wenn ihr sechs auf die Idee kommen solltet, in das winzige Gummidings dort zu steigen.«
»Ich auch«, sagte Abdullah. »Zersägen wir es! Die Kiste liegt doch nur da und scheuert an den Tauen.«
»Nein«, sagte ich. »Das Gummifloß soll allen das Gefühl der Sicherheit geben. Dies ist ein wissenschaftliches Experiment. Ohne das Gummifloß hat keiner an Bord die Möglichkeit, die Papyrusbündel zu verlassen.«
»Los - wo ist die Säge? Was wollen wir damit, wenn wir es doch nie brauchen?« beharrte Santiago.
Die anderen Männer wurden wütend. Aber alle kamen zumindest nach achtern mit, um sich die schwere Packkiste anzusehen, die Abdullah überflüssig erschien.
Achtern war hinter der Hüttenwand kein Schiff mehr. Nur der krumme Schwanzstert ragte noch aus dem Wasser. Von der übrigen Ra durch gekräuselte Wellen getrennt, die von einer Außenseite des Bootes zur anderen rollten, erhob er sich in einsamer Würde. Die Kiste mit dem Rettungsfloß schwamm in dem seichten Wasser zwischen den Brückenpfählen.
Abdullah ergriff eine Axt, aber Juri protestierte wütend. Heller Wahnsinn! Wir mußten doch an die zu Hause denken! Norman war mit Juri einer Meinung, unsere Familien würden verzweifeln, wenn wir ohne Rettungsboot wären. Georges nahm Abdullah die Axt weg. Abdullah wurde unsicher. Er wollte, daß ich die Entscheidung traf. Nun drohte zum ersten Mal auf der Fahrt eine ernsthafte Differenz. In einer lebenswichtigen Entscheidung prallten die Meinungen hart aufeinander, und beide Parteien wurden in ihrer absoluten Forderung immer zorniger.
Als wir vorn auf unseren Ziegenlederbeuteln, Säcken und Krügen zusammen saßen und Carlo Pökelfleisch, Zwiebelomelett und marokkanisches Sello servierte, herrschte die Stille vor dem Sturm. Die trockenen Binsen des Papyrusdecks zu unseren Füßen wurden im Takt der Wellen wie Papierstreifen geknittert und wieder geglättet. Unter Wasser war das Schilf stärker. Die Ra steuerte sich mit unseren beiden geschienten Steuerrudern und einem Krabbenschwanz, der hinunterhing und uns bremste, von allein in Windrichtung. Die Stimmung von Juri, Norman und Georges entsprach den düsteren Gewitterwolken, die über uns hingen; verzweifelt knackten sie mit den Händen Mandeln, bereit, ihren Standpunkt zu verteidigen. Das schmerzende Geschwür wollte behutsam aufgestochen sein.
»Es kann noch viel Merkwürdiges geschehen«, sagte ich und versuchte, einen munteren Ton anzuschlagen. »Durchdenken wir doch einmal alle Situationen, in denen das Rettungsfloß gebraucht werden könnte. Ich fürchte am meisten, daß jemand über Bord geht.«
»Ich fürchte am meisten, von einem Schiff in Grund gebohrt zu werden«, warf Norman ein. »Und dann Feuer an Bord.«
»Vorn schwimmen wir sehr schön, aber achtern nicht«, sagte Juri. »Keiner weiß, wie tief wir in einem Monat liegen.«
»Stimmt schon«, gab ich zu. »Zudem ist es theoretisch möglich, daß die Skeptiker recht behalten und der Papyrus sich allmählich auflöst.«
»Das einzige, wovor ich mich fürchte«, kam es ruhig von Georges, der sich nie vor etwas fürchtete, »ist ein Orkan.«
Keiner fand mehr als diese sechs guten Gründe, das Rettungsfloß in Reserve zu haben. Aber sechs Gründe genügten. Wir einigten uns darauf, vorher durchzusprechen, was jeder von uns in diesen sechs möglichen Situationen machen würde. Wir zählten es an den Fingern ab.
Erste Möglichkeit: Mann über Bord. Alle fühlten sich sicher, weil wir wie Bergsteiger festgebunden waren. Außerdem schleppten wir einen Rettungsgürtel an einem langen Tau hinterher. Wenn ein Nachtwandler über die Krüge stolperte und über
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