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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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Bord fiel, würde es wenig helfen, das Rettungsboot auszusetzen. Es war tief und viereckig und besaß zwei Zeltbeutel, die sich nach oben und nach unten öffneten, welche Seite auch oben lag. Für schnelle Fahrten war es nicht gedacht und würde hinter der Ra zurückbleiben, selbst wenn wir das Segel einholten. Hierüber gab es keine Meinungsverschiedenheiten.
    Zweite Möglichkeit: Kollision. Alle waren sich darüber einig, daß wir es nicht schaffen würden, das Floß auszusetzen, wenn die Ra in zwei Teile gespalten würde. Und wenn sie dann noch schwamm, würden es alle vorziehen, auf das größte übriggebliebene Stück der Ra zu klettern.
    Dritte Möglichkeit: Brand. In der Sahara würde die Ra wie Krepppapier gebrannt haben, aber hier war das schwer vorzustellen. Außerdem hatten wir einen Feuerlöscher. Rauchen war nur auf Lee erlaubt, wo die Funken vom Boot wegflogen, und die Windseite hatte so viel Wasser gezogen, daß sie auch bei einem Brand schwimmen würde. Keiner würde das kleine Rettungsfloß dem großen, nassen, vom Brand verschonten Teil der Ra vorziehen.
    Vierte Möglichkeit: Der Papyrus versinkt unter uns. Die Erfahrungen eines Monats sagten uns, daß der Papyrus, selbst wenn er Wasser zog, so langsam sinken würde, daß genug Zeit bliebe, um SOS zu funken. Aber SOS mußten wir auch funken, wenn wir in das enge Rettungsfloß stiegen. Jeder würde es vorziehen, einen Schlafplatz in der geräumigen Korbhütte zu haben, anstatt zusammengedrängt in dem kleinen Rettungszelt zu sitzen und auf Hilfe zu warten.
    Fünfte Möglichkeit: Der Papyrus verfault und löst sich auf. Wir wußten schon, daß sich die Papyrusexperten in diesem Punkt verrechnet hatten. Wahrscheinlich hatten sie in stehendem Wasser experimentiert. Alle stimmten freudig darin überein, daß Papyrusschilf und Zurrungen zuverlässiger als je zuvor waren. Deswegen strichen wir diesen Gefahrenpunkt einstimmig.
    Sechste Möglichkeit: Orkan. Dieser Fall konnte sehr wohl eintreten, wenn wir uns den Westindischen Inseln näherten. Vielleicht würde ein Orkan Mäste, Steuer und Brücke über Bord fegen, vielleicht das herunterhängende Achterteil losreißen. Aber wir hatten die Ra in mehr als einem Sturm erlebt und waren sicher, daß die zähe Korbhütte auf den mittleren Hauptbündeln der Ra hängenbleiben und uns damit ein Floß mit mehr Platz, Wasser und Essen übriglassen würde, als das kleine Schaumstofffloß bieten konnte.
    Noch ehe wir fertig waren, hatte sich unsere Laune merklich gebessert. Keiner hätte das Rettungsfloß den Schilfbündeln der Ra in irgendeinem denkbaren Fall vorgezogen. Juri war sichtlich erleichtert; er lachte leise und schüttelte verwundert den Kopf. Carlo lachte laut auf. Norman atmete tief ein und erhob sich als erster:
    »Okay. Holen wir die Säge!«
    Alle wollten nach achtern, aber dort brachen die Seen so heftig über das Unterwasserdeck herein, daß drei Mann schon fast zuviel waren. Norman, Abdullah und ich wateten auf das Achterdeck. Mit Axt, Messer und Säge machten wir uns an die schwere Packkiste und warfen genagelte Bretter und Plastikbehälter über Bord. So etwas war auf der Ra fehl am Platze. Das grüne Schaumstofffloß kam zum Vorschein. Darunter sah Abdullah mit Schrecken, daß mehrere der Taue, welche die Bündel der Ra zusammenhielten, von den Bewegungen der Kiste durchgescheuert waren. Tauenden ragten wie Totenkrallen aus dem Papyrus heraus. Nur das Anschwellen des Schilfs hatte die Taue am Hinuntergleiten und damit das ganze Achterschiff am Ausfasern gehindert. Abdullah warf sich über die losen Enden und band sie mit zusätzlichen Tauen zusammen. Wir standen bis zu den Knien in den schäumenden Wellen, und Abdullah zeigte uns, wie sich die Haut an seinen Beinen - von der vielen Arbeit im Salzwasser in den letzten Tagen - in weichen, weißen Fetzen löste. Da merkte ich, daß eine riesige Welle auf die Ra hereinbrach, uns hochhob und gewaltsam seitwärts drehte. Ich schwankte und versuchte krampfhaft, das Gleichgewicht wiederzufinden, als ich ein ohrenbetäubendes Krachen von brechendem Holz und Wassermassen hörte. Ich stand bis zur Hüfte im Meer, das sich von hinten gegen mich wälzte, und Holzwerk und Taue gaben dem Druck der Wellen nach und brachen zusammen. Ich wurde von dem Wasserschwall gegen Backbord geworfen und bückte mich, um ein Papyrusreep zu ergreifen, damit ich nicht über Bord gefegt würde; da prasselte gebrochenes Holz auf meinen Rücken. Ich hörte Norman brüllen:

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