Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Mittelländischen Meer nach Peru zog, ebenso schnell wie Fernando Cortez in das Hochland von Mexiko? Die Spanier kolonisierten das ganze Gebiet von Mexiko bis Peru im Laufe einer einzigen Generation, die noch erlebt hatte, wie Kolumbus den Atlantik dreimal in beiden Richtungen überquerte. Da saßen wir sieben Männer aus sieben Nationen zusammen an Bord eines Schilfbootes, um zu demonstrieren, welche Gemeinsamkeiten die Menschen in Norden und Süden, Osten und Westen doch haben. Und trotzdem fiel es uns so schwer, zu begreifen, daß dieselbe Ähnlichkeit uns auch durch die Zeiten verfolgt, seit die alten Ägypter ihre Liebeslieder dichteten, die Assyrer ihre Streitwagen verbesserten oder die Phönizier die Grundlagen unserer Schreibkunst schufen und sich mit Segeln und Takelung bemühten, an die Schätze Westafrikas heranzukommen.
Als wir die erste Juliwoche hinter uns hatten, ergriff mich eine innere Unruhe. Ich hoffte, daß das Filmboot rechtzeitig ausgeschickt wurde, bevor sich die ewigen Regenschauer, die uns seit mehreren Tagen verfolgten, zu einem richtigen Unwetter zusammenballten. Wir waren jetzt in das Gebiet geraten, in dem die Orkanzeit begann. Die Männer nahmen das alles mit Gelassenheit hin.
Am 8. Juli frischte der Wind auf, und die See ging höher, als ob wirklich ein Unwetter hinter dem Horizont vorbeigezogen wäre. Riesige Wellen warfen sich über unser armseliges Achterteil und spülten zum ersten Mal richtig über die Brücke, die hinter der Hütte auf hohen Pfählen stand. In dieser Nacht hatten wir ein schweres Stück Arbeit zu verrichten. In der pechschwarzen Dunkelheit heulte der Wind, und überall dröhnte, gurgelte, platschte, brauste und donnerte das Wasser. Die Kisten, auf denen wir lagen, begannen in der Hütte zu rumoren und schwammen mit uns hin und her. Wer ganz hinten steuerbord auf dem Boden lag, mußte seine Habseligkeiten aus den halb vollgelaufenen Kisten retten und in unsere Bettkisten legen, in die das Wasser nur hineinsickerte und um einige Zentimeter stieg und sank, wenn die Kistenfugen auseinanderklafften. In Abständen von wenigen Sekunden peitschten die Wellen gegen die Rückwand der Hütte, die nun mit Segeltuch bedeckt war; dann erbebten die Bambuswände, und überall sickerte Salzwasser herein, wenn wir nicht gerade eine ganze Kaskade über den Kopf bekamen. An dieses endlose, rhythmische Donnergetöse am Kopfende gewöhnten sich die meisten von uns, obwohl Santiago Schlaftabletten brauchte. Aber manchmal donnerte es heftiger, boshafter, und wir fuhren alle aus den Schlafsäcken: Im Kampf mit dem Mast war das Segel umgeschlagen, und dann kämpften wir wieder gemeinsam mit dem Riesensegel, das wir im Lampenschein gerade über uns erkennen konnten, während wir uns die Zehen verstauchten und über Santiagos Krüge und Carlos bald undurchdringliches Netzwerk aus Par-dunen stolperten. Am nächsten Morgen gegen sechs Uhr stand ich auf der Brücke und nahm den heftigen Wind achtern dwars von Steuerbord mit Hilfe eines festgebundenen Steuerruders und eines zweiten, das ich unter fester Kontrolle hatte, als das Meer ganz unerwartet um mich herum stieg und alles verschlang. Der Wasserspiegel hob sich langsam bis über meine Hüften, und ohne Rauschen oder Krachen versank das Hüttendach vor meiner Brust im Wasser. Kurz darauf begann die Ra heftig zu beben und sich gleichzeitig gefährlich in die Windrichtung zu legen, so gefährlich, daß ich mich am Steuerruder festhalten mußte, um nicht mit dem Wasser über die schiefe Ebene über Bord zu rutschen, während ich jeden Augenblick erwartete, daß der schwere Schrägmast die Papyrusbündel unter sich zerreißen und in die See stürzen würde. Aber die Ra legte sich nur bebend auf die Seite, um das Wasser ablaufen zu lassen, dann richtete sie sich wieder auf, doch nie mehr so weit wie vorher. Wenn man sich danach auf der schiefen Brücke aufrecht halten wollte, mußte man das linke Knie beugen.
Weil der Achtersteven wie ein Badestrand ins Wasser hing, mußten wir uns am nächsten Morgen beim Baden an Bord festbinden, um nicht ins Meer gespült zu werden. Die Wellen brausten zu beiden Seiten der Hütte weiter nach vorn, und wir bauten in Lee achtern der Hüttentür einen Damm aus leeren Körben und Tauwerk und deckten ihn mit dem Reservesegel der Ra ab, das wir bis jetzt noch nicht gebraucht hatten. Überall lagen tote fliegende Fische. Obwohl das Achterschiff mächtig bremste und obwohl wir ständig im Zickzack fuhren, ohne
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