Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
richtig steuern zu können, brachte uns der kräftige Wind an diesem Tag 63 Seemeilen oder 116 Kilometer näher an Amerika heran. Das waren nur 30 bis 40 Kilometer weniger als die tägliche Durchschnittsstrecke, die der Bibliothekar Eratosthenes für die Papyrusschiffe des Altertums angegeben hatte. Wieder besuchten uns weißschwänzige Tropic-birds aus Brasilien oder Guayana, jetzt südlich und südwestlich von uns. Alle Männer waren bester Laune. Norman hatte mit Chris in Oslo Funkkontakt, und Chris bestätigte, daß er versuchte, Yvonne in New York beim Engagieren eines Kameramannes behilflich zu sein. Er hoffte auch, der Kameramann könnte uns mit einem Boot von den Westindischen Inseln entgegenkommen.
Am 9. Juli entdeckten wir, daß das Wasser, das über das Hüttendach gespült war, auch durch einen Deckel gedrungen war und daß die Tonne mit fast hundert Kilo Pökelfleisch - das später verfaulte - voll Wasser stand. Da kam Georges plötzlich völlig außer sich angerannt und meldete weit Schlimmeres. Sämtliche Haupttaue, welche die äußere Papyrusrolle an der Ra festhielten, waren durchgescheuert, weil der Hüttenboden mit dem Wellenschlag hin und her geschoben wurde. Georges war bleich und fast sprachlos. Mit einem Satz waren Abdullah und ich auf der anderen Seite der Hütte. Uns bot sich ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Das Boot war der Länge nach vollkommen gespalten. Die Seitenrolle auf Steuerbord, die den einen Mast hielt, bewegte sich in ihrer ganzen Länge von dem Rest des Bootes weg und wieder heran. Nur an Bug und Achtersteven saß die Rolle noch fest an der Ra . Jedesmal, wenn die Wellen die große Papyrusrolle von dem Rest des Bootes wegdrängten, starrten wir in das klare Blau. Nie hatte ich den Atlantik so klar und so tief gesehen wie in dieser Spalte in unserer kleinen Papyruswelt. Hätte Abdullah bleich werden können - er wäre es geworden. Mit stoischer Ruhe und fester Stimme sagte er kalt, jetzt sei alles aus. Die Taue waren durchgescheuert. Die Kette war gebrochen. Die Tauketten würden sich allmählich lösen, und in ein paar Stunden würden die Papyrusbinsen in alle Richtungen auseinanderschwimmen.
Abdullah. Abdullah hatte aufgegeben. Georges und ich standen eine Weile wie gelähmt und sahen von dem Meeresspalt, der sich zu unseren Füßen rhythmisch öffnete und schloß, auf die zusammengebundene Spitze des Schrägmastes. Ein Bein auf jeder Seite, hielt der Schrägmast faktisch die beiden Teile des Bootes zusammen, sonst wären die Taue vorn und achtern auch schon längst durchgescheuert gewesen. Plötzlich stand Norman neben uns und blickte unverwandt, wie ein Tiger auf dem Sprung:
»Männer, wir geben nicht auf!« sagte er verbissen.
Im nächsten Augenblick hasteten wir alle durcheinander. Carlo und Santiago holten Taurollen und vermaßen und kappten Enden von unserem dicksten Tau. Georges sprang in die Wellen und schwamm mit einem dicken Tauende quer unter die Ra . Norman und ich krochen überall umher und untersuchten durchgescheuerte Zurrungen, um festzustellen, wie weit das Boot sich spalten würde. Papyrusbinsen schwammen einzeln und in Büscheln im Kielwasser. Abdullah schlug mit einem Schmiedehammer auf die riesengroße Nähnadel der Ra , eine dünne Eisenstange mit einem Nadelöhr am unteren Ende, das ein acht Millimeter starkes Tau halten konnte. Mit der Nadel wollten wir versuchen, das »Papierboot« zusammenzunähen. Juri übernahm allein das schwere Stück Arbeit am Steuerruder, Stunde um Stunde. Zuerst schwamm Georges viermal mit unserem dicksten Reep unter der Ra durch, und wir zurrten es an Deck wie vier große Faßreifen zusammen - in der Hoffnung, es würde die Bündel zusammenhalten, damit sich der Schrägmast nicht an der Spitze spaltete. Danach tauchte er genau an den Stellen unter die Papyrusbündel, an denen Abdullahs große »Nähnadel« durchgestochen wurde. In der Tiefe gelang es Georges, das dünne Tau aus dem Nadelöhr zu ziehen, um es wieder einzufädeln, wenn Abdullah die leere Nadel an einer anderen Stelle durchsteckte. Auf diese Weise schafften wir es, die verhängnisvolle Spalte wieder einigermaßen »zusammenzunähen«, aber wir hatten viel Papyrus verloren und neigten uns deswegen mehr denn je auf die Windseite. Der Schrägmast stand schief, und trotzdem fuhr die Ra so schnell, daß Georges mit einem Reep festgehalten werden mußte. Wir waren glücklich, als wir ihn schließlich an Bord zogen, ohne daß ihn die spitze Riesennadel
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