Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
er schließlich. »Entweder müssen wir alle weiterfahren, oder wir müssen alle aufhören. Ich bin sehr dagegen, daß wir uns trennen.«
Ich mußte eine schwere Entscheidung treffen. Alle anderen wollten weiterfahren. Vielleicht würde es gutgehen - vielleicht würde ein Orkan einen von uns über Bord spülen. Das war die Sache nicht wert. Ich hatte das Experiment begonnen, weil ich die Antwort auf eine Frage suchte; die Antwort hatten wir bekommen. Ein Papyrusboot war mit Landratten in
See gestochen, die keine Lehrmeister besaßen und unerfahren herumexperimentierten, und dieses Boot hatte nach acht Wochen auf dem Weltmeer einen Orkan überstanden, ohne daß dabei Menschen, Tiere oder wesentliche Teile der Ladung zu Schaden gekommen wären. Wenn wir um den alten phönizischen Hafen Safî, dem Ausgangspunkt unserer Reise, einen Kreis mit einem Radius von der Länge der von uns zurückgelegten Strecke schlugen, würde der Kreis Moskau und die nördlichste Spitze von Norwegen einschließen, er würde Grönland in der Mitte schneiden, über Neufundland, Quebec und Neuschottland und Nordamerika gehen und Brasilien in Südamerika berühren. Wenn wir nicht von Safî ausgelaufen wären, sondern bei Senegal an der afrikanischen Westküste, würde sich die Strecke in der Luftlinie über den ganzen Atlantik und wohl 2 000 Kilometer den Amazonas aufwärts, fast bis zu seinen Quellen, erstreckt haben. Denn der Atlantik ist an seiner schmälsten Stelle knapp 3 000 Kilometer breit, während wir 5 000 Kilometer zurückgelegt hatten. Es war besser, rechtzeitig aufzuhören. Hier lagen zwei Boote, beide mit großen Schäden, und trieben zusammen westwärts in einen Meeresteil, in dem Orkane geboren werden. Damals ahnten wir nicht, daß der erste Orkan des Jahres, Anna, gerade dort hinter uns auf dem Meer entstanden war, wo wir eben vorbeigefahren waren, und sich jetzt mit wachsender Kraft auf dem Weg zu den nördlichsten der Inseln vor uns befand. Wir steuerten direkt auf Barbados im südlichen Westindien zu. Wir ahnten auch nicht, daß Forschungsflugzeuge des amerikanischen BOMEX-Projektes (Barbados Oceanographic and Meteorological Experiment) - die den Orkan bei seinem Entstehen entdeckten - die obersten Luftschichten über Barbados mit feinen Sandkörnern aus der Sahara gesättigt gefunden hatten. Saharasand regnete auf den Dschungel Mittelamerikas. Und vor uns und hinter uns trieben Asphaltklumpen von der Küste Afrikas nach den Stränden Mittelamerikas. Es wurde das Schicksal der Ra , vor uns und allein den Elementen auf ihrer Reise in die Tropen zu folgen. Ich mußte den Entschluß allein fassen.
11
Ra II
Sechstausend Kilometer
mit einem Papyrusboot von
Afrika nach Amerika
M ERKWÜRDIGER V ERDACHT . U NGEWISSHEIT . I CH ERWACHE VOLL U NRUHE . Greife nach der Unterlage. Sie rollt. Sie rollt und tanzt und braust im Wasser. Es ist Nacht. Träume ich? War die Fahrt mit der Ra doch nicht beendet? War es vielleicht nur ein böser Traum gewesen, daß der Achtersteven absackte und wir den Mast kappten? Oder hatte ich, jetzt einen Alptraum und träumte, wir hätten das unsichere Wrack noch nicht verlassen? Einen Augenblick lang war ich verwirrt; ich versuchte, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Die Fahrt mit der Ra war überstanden. Ich hatte mir geschworen, nie mehr ein solches Experiment zu unternehmen. Und ich war immer noch hier. Dieselbe geflochtene Korbhütte um mich herum. Dieselbe niedrige breite Öffnung führte hinaus in Wind und das leere Weltall mit wilden, schwarzen und weißen Wellen, die sich gegen den Nachthimmel türmten. Vorn war dasselbe große ägyptische Segel unverändert an dem Schrägmast gebläht, den wir gekappt hatten, und hinter uns krümmte sich himmelhoch in einem eleganten Bogen der schlanke Achtersteven des Papyrusboots, den wir schlaff in die brodelnden Wellen hatten sinken sehen. Ich war todmüde. Meine Arme kraftlos. Ich setzte mich auf, als Norman leibhaftig hereinkroch und mit der Taschenlampe zuerst mich und dann einen Borstenkopf mit rotem Bart anleuchtete, der dicht bei mir aus dem Schlafsack herausragte. »Thor und Carlo, Wachablösung, ihr seid an der Reihe.« Ich griff nach meiner Taschenlampe und leuchtete um mich herum. Dort lagen die anderen dicht beieinander wie früher, ja sogar noch dichter, während Norman versuchte, sich gegenüber einen bescheidenen Schlafplatz in der Ecke zu verschaffen, so daß sich alle im Takt auf die andere Seite drehten, Carlo, Santiago, Juri,
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