Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
fehlendes Zwischenglied? Hatten die unbekannten Lehrmeister der Maya, die älteren Olmeken, auch so gebaut?
Nachdem ich gesehen hatte, daß die alten Schilfboote Sardiniens, Fas-soni , immer noch verwendet wurden, begann der Lucus-Fluß in Marokko aufs neue in meinem Gehirn herumzuspuken. Bei meinem ersten Besuch war der Distriktchef etwas zu kategorisch gewesen, als er behauptete, die Leute am Fluß würden nur noch Boote aus Holz und Kunststoff kennen. Deswegen hatte ich meinen guten Freund, den Pascha von Safî, aufgesucht, als ich gekommen war, um die Ra II zu bauen. Er hatte uns Auto und Dolmetscher geborgt. Im Hafen von el Aräich am Lucus-Fluß fanden wir zwei alte Fischer, die am Kai saßen und Netze reparierten. Mit dem einen als Führer waren wir bald auf der Spur. Zwei Tage versuchten wir, eine Radspur in dem lichten Korkwald zu finden, die zu einem abgelegenen Jolot-Dorf dicht am Meer führte. Wir erreichten es schließlich zu Fuß: malerische, schilfgedeckte Zweighütten, Storchennester auf den Dächern, Ziegen, Kinder und Alte, ganze Familien, blond, mit blauen Augen, während andere negroid aussahen. Keine Araber. Dies war die gemischte Urbevölkerung Marokkos. Schwarz und Weiß. Riesige Kaktuszäune versperrten ihrem kleinen sonnendurchglühten Königreich die Aussicht auf Meer und Fluß und die lichte Weidelandschaft mit gekrümmten Korkeichen. Madia? Natürlich. Die Alten, gebeugte Greise und zahnlose Weiblein, hatten sowohl Shafat als Madia gekannt, jene beiden Schilfboot-typen, die bis vor einigen Jahrzehnten an der Mündung des Lucus-Flusses in Gebrauch gewesen waren. Zwei Greise beeilten sich, jeder ein Modell zu machen, ein Shafat mit flach abgeschnittenem Achterteil, um Ladung über den Fluß zu befördern, und ein Madia , den Bug und Achtersteven wie im alten Ägypten hochgebogen. Ein Madia war draußen in der Brandung tauglich, man konnte es so groß machen, wie man wollte, und Khab , das dünne, flache Schilf, das sie verwendeten, schwamm monatelang. Die Alten bauten ein kleines Exemplar des schönen klassischen Typs, auf dem fünf Mann hinauspaddelten, um uns die schier unglaubliche Tragfähigkeit zu zeigen.
Dank der Jagd auf Schilfboote hatte ich Lixus erlebt. Die Ruinenstadt war der marokkanischen Bevölkerung ebenso unbekannt wie den meisten Archäologen. Spezialisten für Ägypten, Sumer oder das alte Mexiko können schwerlich über die afrikanische Atlantikküste orientiert sein, und die kleine Handvoll Marokko-Experten hat nur Zeit und Mittel gefunden, um hier und dort an den tausendjährigen Mauern einige Versuchsgräben zu ziehen. Ich stolperte über diesen Ruinenberg, weil er an der Autostraße von el Aräich zum Korkwald liegt, wo der Jolot-Stamm Schilf boote baute. Es waren nur wenige Kilometer von einem Ort zum anderen. Vor einigen Jahren wurden solche Schilfboote auf dem Fluß verwendet, der sich am Fuße der Ruinen windet, bei denen man Reihen alter römischer Hafengebäude ausgegraben hat.
Schilfboote hatten mich nach Lixus gelockt. Nur wenige Anblicke haben mich mehr überrascht. Vor mir der Atlantik, hinter mir das endlose afrikanische Festland, bis zu den Küsten der Ägypter und Phönizier, Mesopotamien im Rücken. Daher waren sie gekommen, aus dem ganzen Mittelländischen Meer, durch Gibraltar und an der afrikanischen Westküste entlang, mit Frauen und Kindern, mit Astronomen und Architekten, mit Töpfern und Webern, die Kolonisten aus Vorderasien, die seit dem Morgen der Zeiten hier gewohnt hatten, als die Römer durch die Straße von Gibraltar segelten. Das war in der Tat historischer Boden. Hier draußen am Atlantik lag jene Stadt, welche die Römer die Ewige Stadt nannten und wo der Riese, der den Erdball trug - der Gott Herkules, aus der ältesten Mythologie der Griechen und Römer - das Zeitliche segnete. Die ältesten Mauern, jetzt ganz oder teilweise mit kompaktem Abfall von Arabern, Berbern, Römern und Phöniziern bedeckt, waren noch imposant genug, um die Phantasie anzuregen. Gigantische Blöcke waren zugehauen und in enormen Mengen auf die Spitze dieses Berges befördert worden, in verschiedener Größe und Form zugeschnitten, aber immer mit vertikalen und horizontalen Seiten und Ecken, die genau ineinander paßten, wie die Steine eines gigantischen Puzzlespiels, selbst wenn die Blöcke so viele rechtwinklige Unregelmäßigkeiten aufwiesen, daß die Umrisse manchmal zehn-und zwölfeckig statt rechteckig hätten sein können. Diese spezielle, in der Welt
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