Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
der Mole teilgenommen, als ich zum ersten Mal von Marrikech nach Safî hinunterkam, bin aber seekrank geworden und wieder an Land gegangen.«
»Wieder nur Landratten«, sagte Norman leicht verzweifelt und sah mich an.
»Dann werden sie das Papyrusboot nicht so beladen, wie Seeleute ein gewöhnliches Holzschiff beladen würden«, sagte ich. »Mit denen, die einsehen, daß sie nichts können, ist es am sichersten. Ein sicherer Skispringer wird selten so geschmeidig, daß er mit dem Fallschirm abspringen kann.«
Die beiden Männer, die zum ersten Mal zur See fuhren, litten an den ersten beiden Tagen an den verzweifelten Qualen der Seekrankheit, während das schlanke Papyrusboot wie eine leere Flasche auf rauher See rollte und stampfte. Dann schienen Allah und Buddha trotz aller Statistik und Wetterkarten ihre Gebete um Windstille zu erhören, und als der Wind endlich wieder auffrischte, gehörten die Vertreter Japans und Marokkos ganz natürlich zu dem Unternehmen. Es war wie auf der Ra I: Wir teilten dieselben Mühen und dieselben Freuden; wer bleich war, wurde braun, und wer noch brauner war, vergrößerte den Vorsprung, ohne daß jemand an Stammbaum, Taufschein, Mitgliedskarte oder Paß dachte. Auf dem Vorderdeck war der Platz knapp, noch knapper als auf dem Achterdeck, und zu beiden Seiten der durchsichtigen Hüttenwände gab es nur einen ein Meter breiten Streifen. Die Korbhütte bestand aus einem einzigen Raum und war viel zu niedrig, um darin stehen zu können, außer man stand auf dem Dach, und viel zu eng, um sich in der Koje krümmen zu können, ohne dem Nachbarn ein Knie in den Bauch oder einen Ellbogen gegen den Schädel zu rammen. Wir kannten die Flüche, Schnarchlaute, Tischsitten und Witze der anderen, wenn es auch durch das Schreien und Knarren der Pardunen und der zusammengebundenen Brücke in der Dunkelheit oft schwierig war, zu unterscheiden, von wem die sonderbarsten Geräusche stammten. Nachdem ich persönlich die orientalischen Flötentöne und Streichinstrumente angepeilt hatte, die in der Nase des musikalischen Ma-dani hausten, und eine wahrhaftige Werkstatt mit Säge, Fräsbohrer und Hobel, die bei offener Tür im Gaumen des praktischer gestimmten Carlo rumorten, schlief ich trotz aller Beschuldigungen, daß ich selbst wie ein Löwe röchelte, mit gutem Gewissen. Nur Santiago und Georges baten Juri gelegentlich um Schlaftabletten. Wir lebten wie bei einem ununterbrochenen Gastmahl, es gab keinen Platz für Geheimnisse, zu jeder Tageszeit und in jeder Situation waren wir alle da, dicht beieinander.
Wenn sich auch ein Amerikaner und ein Russe selten gut kennenlernen, dann lernten sich zwei von ihnen jetzt gründlich kennen; wären Araber und Juden natürliche Feinde, wäre einer von ihnen in den Wellen verschwunden. Hätte sich der Herr nicht unter vielen Namen anbeten lassen, hätten wir an Bord Glaubenskriege gehabt. Wir stellten eine babylonische Verwirrung von acht verschiedenen Sprachen dar, aber täglich wurde in wachem Zustand englisch, italienisch und französisch gesprochen. Wir diskutierten, erzählten lustige Geschichten und sangen im Chor, sobald wir ein paar freie Augenblicke hatten, am liebsten nach dem Abendbrot, wenn zwei, drei Männer unten auf der Mastleiter und die übrigen um den Hühnerkäfig saßen, denn in der Hütte wollte immer jemand schlafen. Wir diskutierten über Politik und nahmen niemals ein Blatt vor den Mund.
Denn hier waren die Argumente aus Ost und West unzensiert, ohne daß jemand mit geladenen Pistolen bereitsaß. Handharpunen, Axt und Angelhaken waren die einzigen waffenähnlichen Gegenstände an Bord. Sie wurden zum Wohle aller benutzt, denn wir saßen alle in einem Boot. Wie die meisten Leute grübelten wir zusammen über die Palästina-Frage, die Stammesfehden in Afrika, die Einmischung der Amerikaner in die Politik Asiens und die der Russen in der Tschechoslowakei nach. Keiner erhitzte sich, keiner war beleidigt, keiner erhob die Stimme. Wir diskutierten über Religion, und keiner verspürte heilige Wut. Kopte und Katholik, Protestant und Mohammedaner, Buddhist, Atheist, Freidenker und halbchristlicher Jude, eine größere Mischung erlaubte der Platz auf unserer kleinen Arche nicht, auf der ein Affe Noah war und wir die Rolle der Tiere spielten. Doch bei uns gab es keine Glaubensfehde an Bord. Aber als wir über das Eigentumsrecht an einer verlorenen und wiedergefundenen Zahnbürste diskutierten, hörten wir Wutgeschrei und leidenschaftliche Flüche
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