Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
würde der Papyrus dennoch weit schneller Wasser ziehen als das Totora .
Ich faltete den kleinen Zettel auseinander. Mit ungelenken Buchstaben und in kindlicher Schrift stand dort: »Lieber Thor in Italien!
Erinnerst du dich an Abdullah aus dem Tschad? Ich bin bereit, zu dir zu kommen und mit Omar und Mussa einen großen Kaday zu bauen. Wir warten auf eine Nachricht, und ich bin Tischler bei Pfarrer Eyer in Fort-Lamy.
Gruß, Abdoulaye Djibrine.«
Das lachende, pechschwarze Gesicht Abdullahs mit der Narbe über Stirn und Nasenrücken stand deutlich vor mir, und ich mußte über den rührenden Brief lächeln, gleichzeitig war es wirklich bewundernswert, daß dieser Analphabet in Zentralafrika soviel Initiative besaß, mit meiner Adresse zu einem Schreiber in Fort-Lamy zu gehen und mich dazu anzutreiben, etwas zu unternehmen. Warum zögerte ich? Abdullah wartete, und Omar und Mussa waren bereit, mitzukommen. Für ihre Viehtramporte bauten sie viel größere Boote, als sie die Christen benutzten, um sich auf äthiopischen Inseln zu verstecken, und sie wußten mehr über die Tragfähigkeit des Papyrusbootes als alle Schriftgelehrten der Welt zusammen. Sie glaubten an ihren Kaday . Sie waren bereit, einen so großen Kaday zu bauen, daß er monatelang schwimmen konnte, und sie waren bereit, selbst mit an Bord zu geben und in ferne Länder zu segeln, die ich nur in Tagesreisen beschreiben konnte, weil sie nicht die geringste geographische Vorstellung besaßen.
Abdullahs Brief machte meiner Unentschlossenheit ein Ende. Ich mußte den Männern aus dem Tschad vertrauen.
An jenem Abend ging ein Telegramm nach Addis Abeba an den Italiener, dem die beiden großen Metallboote auf dem Tanasee gehören. Wir hatten folgendes verabredet: Falls er ein Telegramm von mir bekäme, sollte er Ali mit seinen Leuten auf die Westseite des Tanasees schicken und 150 Kubikmeter Papyrusschilf schneiden, das am nördlichen Ende des Sees gebündelt werden sollte. Commendatore Mario Buschi war ein Geschäftsmann mittleren Alters, stämmig, rotwangig; er strotzte vor Initiative. Er hatte persönlich den Transport der schweren Eisenboote vom Roten Meer zum Tanasee organisiert. 1937 war der 180 t schwere Axum-Monolith unter seiner Leitung von den äthiopischen Bergen nach Rom gebracht worden, und nun hoffte er, den Transport auszuführen, falls der Kaiser von Äthiopien mit seiner Forderung ernst machte, das Monument zurückzuverlangen.
Mein erster Gedanke war es, den Papyrus nilabwärts zu flößen, aber wegen der vielen Wasserfälle und weil die Republik Sudan durchquert werden mußte, wäre das zu umständlich geworden. Buschi faßte es als eine sportliche Herausforderung auf, den Auftrag zu bekommen, fünfhundert Papyrusbündel vom Tanasee 725 km über äthiopische Berge zum Roten Meer zu befördern, denn selbst wenn der Schilfhaufen die Größe eines kleinen Hauses hätte, würde er schätzungsweise nur 12 t wiegen.
Wir durften keinen Tag verlieren. Es war bald Weihnachten, und wenn wir den Atlantik überqueren wollten, ehe auf der anderen Seite die Orkanzeit einsetzte, mußten wir im Mai von Afrika ablegen. Ich hatte Angst, den Papyrus zu früh zu schneiden, da altes Schilf kaum stark genug war. Aber wenn es nicht jetzt geschnitten wurde, dann konnten wir bis Mai nicht startbereit sein. Es würde lange dauern, zwei- bis dreihunderttausend Papyrusstengel zu schneiden, denn jetzt war Hochwasser im Tanasee, und wenn das Schilf in einer Länge von ungefähr drei Metern geerntet werden sollte, dann mußte man den Stiel weit unter der Wasseroberfläche schneiden. Danach sollte das Schilf getrocknet werden, um nicht in Bündeln zu verfaulen. Dann blieb noch der Transport über die Berge und das ganze Rote Meer herauf. Im Sues-Gebiet herrschte Krieg, und aller Verkehr war stillgelegt, aber in Sues mußte das brennbare Schilf ausgeladen und auf gesperrter Landstraße wieder zum unteren Lauf des Nil transportiert werden. Bevor die Ladung bei den Pyramiden war, mußten das Lager und die Tageseinteilung für die Wachen und den Arbeiterstab im Wüstensand organisiert sein. Die Arbeit sollte von Buduma-Negern aus dem Tschad geleitet werden, die immer noch auf schwimmenden Inseln im entlegensten Winkel der zentralafrikanischen Republik ihr einfaches Leben führen. Sobald die Arbeit begann, würde es ein langwieriger Vorgang sein, die dünnen Papyrusstiele zu einem kompakten, fünfzehn Meter langen und fünf Meter breiten Seefahrzeug zusammenzubinden.
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