Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
machen, daß Menschen diesen enormen Ruinenkomplex von Pyramiden, Tempeln und Palästen hinterlassen hatten, die wie wir aus Fleisch und Blut gewesen waren. Tausend Jahre vor Kolumbus hatten sie sich hier angesiedelt und sich im Dschungel Platz für Haus und Heim, Acker und religiöse Bauwerke gehauen. Pyramiden und Tempel waren von erfahrenen Architekten gezeichnet und berechnet worden, auffallend erfahren, wenn man an die meisten Indianer denkt, die sich damals wie heute in demselben Dschungel aufhalten und ihre Hütten aus Zweigen und Blättern bauen, ohne auf die Idee zu kommen, einen rechtwinkligen Block aus natürlichem Geröll oder Fels zu schaffen. Ich hatte einmal probiert, einen runden Stein viereckig zu machen. Es war mir nicht gelungen, obwohl ich Stahl zum Schlagen besaß und die Indianer nur Steingeräte. Nur ein Fachmann würde so glattpolierte Blöcke aus dem harten Fels schneiden können, ich nicht, keiner meiner Freunde in Stadt und Land und kein Indianer, dem ich jemals begegnet war. Was steckte in Wahrheit hinter den Dschungelruinen in Palenque?
Es mochte absurd klingen, aber fehlte der Wissenschaft nicht ein Kriminalist als Berater? Der nicht unbedingt die archäologische Ausgrabungstechnik oder lateinische Fachausdrücke kennen mußte, der aber den immer wachen Argwohn des Detektivs, praktische Kombinationsfähigkeit und Gespür besaß und ein wenig von der Wahrscheinlichkeitsrechnung verstand? Hier lag in dem großen Wald eine riesige Pyramide. Waren gewöhnliche Indianer auf die Idee gekommen, sie hier anzulegen? Oder wer hatte sich noch in den mexikanischen Urwäldern zu schaffen gemacht?
Das sei nur natürlich, sagten jene, die der Meinung waren, daß die Kulturvölker vor Kolumbus auf ihren eigenen Höfen geblieben seien, es sei natürlich, daß Menschen unter gleichen äußeren Bedingungen gleiche Werke schaffen. Es sei natürlich, daß man sowohl in Ägypten als in Mexiko Steine übereinanderstapelte und daß daraus eine Pyramide entstand.
Jetzt schüttete es Wassermassen, und wir suchten unter einigen Riesenblättern Schutz.
Die gleichen äußeren Bedingungen! Gibt es einen größeren Kontrast als zwischen der ägyptischen Wüste und dem mexikanischen Urwald? Die arme Luft, die wir einsogen, war schwer wie feuchte Pflanzenluft in einem Treibhaus. Um uns herum nur triefendes Laubwerk, Stengel, Stämme, fette Humuserde. Abgesehen von großen gemeißelten Blöcken, die in überwachsenen Ruinen übereinander lagen, war kein Stein zu sehen. War es natürlich, in einem mexikanischen Urwald einen Stein auf den anderen zu stapeln? Warum dann nicht im afrikanischen Urwald oder in den unterschiedlichen Gegenden Europas?
Wo hatten die Architekten der Palenquepyramide ihr Material gefunden? Vielleicht hatten sie in der Erde unter den Riesenwurzeln der Dschungelbäume gegraben, vielleicht waren sie zu einem Bergkamm gezogen, um sich an eine solide Wand zu machen. Hier in Palenque war erst die Idee gewesen, und brauchbares Material ist erst an zweiter Stelle als Resultat " der Suche von Fachleuten lokalisiert worden.
Und in Peru? War es in Peru natürlich, einen Stein auf den anderen zu einer Pyramide aufzutürmen? Entlang der tausend Kilometer langen Wüstenküste, an der Perus Pyramiden verstreut liegen, gibt es keinen brauchbaren Stein; man muß in die Anden hinauf, um Steinbrüche zu finden. Im Mochica-Tal, wo wir gerade herkamen, waren Steine eine solche Mangelware, daß die Pyramidenbauer sich gezwungen sahen, erst ungefähr sechs Millionen große ziegelsteinförmige Adobeblöcke herzustellen, ehe sie genug Material hatten, um ihre Pyramide mit einer Grundfläche von fast vier Ar und von dreißig Metern Höhe zu erbauen. Andere Adobepyramiden in Peru sind noch größer als Cerro Colorado.
Es war anregend, kalt und naß unter den großen Blättern zu sitzen und die triefende Pyramide zu betrachten, während die Erinnerungen an Peru und Ägypten noch frisch waren. In Ägypten war es natürlich, mit Stein zu bauen, den Berg mir Geräten zu bearbeiten, denn dort ragten als einzig natürliches Baumaterial nackte Felsen aus dem Wüstensand. Aber wo in Mexiko war es natürlich? Die Azteken auf den offenen mexikanischen Hochebenen und die Maya in Yukatans Dschungel hatten es ja nachweislich von ihren Vorgängern gelernt, Pyramiden zu bauen. Die Wissenschaft war zu dem Resultat gekommen, daß die älteste Kultur in Mexiko, die den Anstoß für alle anderen gegeben hatte, an der tropischen
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