Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Annahme, daß wir der Küste viel näher waren, als er gestern ohne Chronometer geschätzt hatte, und praktisch direkt bei Kap Juby auf Land zutrieben.
Spät in der Nacht frischte es zu einem starken Sturm auf, es heulte in der Takelage, und die Ra schlingerte immer heftiger, da uns der Sturm heftiger als zuvor attackierte. Wir hielten die ganze Nacht doppelte Wache, um nicht von den Sandbänken bei Kap Juby überrascht zu werden, und wir behielten alle Reeps scharf im Auge. Kein Tau war gerissen. Keine Papyrusbinse hatte sich losgerissen. Aber das Brückenholz-werk sägte so heftig an der Bambusecke der Hütte, daß in diesem Winkel der Hütte alles von einer gleichmäßigen Schicht feinen Sägemehls bedeckt wurde. Wir leisteten Santiago Gesellschaft, der auf der Ra an Schlaflosigkeit litt, denn heute nacht war es fast unmöglich, ein Auge zu schließen -so wie die Kisten unter uns holperten und Hütte, Brücke und Masten mit derartigem Lärm nach allen Seiten schlingerten, als ob tausend Katzen ihren Schwanz zwischen Tauen eingeklemmt hätten. Auch lehnte sich die Hütte so stark nach Steuerbord, daß keiner auf der Seite liegen konnte, ohne umgestoßen zu werden. Die andern lagen zu viert in der Breite, wir zu dritt, denn auf unserer Seite war die Funk- und Navigationsecke. Abdullah rollte ständig gegen Georges, dieser gegen Santiago, bis Juri die anderen zuunterst in der Schräge mit Knien und Armen empfing, weil ihn die Wand am Weiterrollen hinderte. Ich hatte meine restlichen Kleidungsstücke steuerbord unter die Matratze gestopft, und Carlo hatte das gleiche getan, damit wir nicht gegen Norman und die Funkecke rollten.
Die ganze Nacht hindurch tobte das Unwetter mit vier, fünf Meter hohen Wellen; die Windstöße ließen einen Salzwasserregen auf das Boot prasseln. Am sechsten Tag wirkte die Ra im Verlauf des Vormittags merkwürdigerweise weniger zerbrechlich, die Taue schienen straffer. Eine turmhohe Welle, die ganz plötzlich achtern über Bord hereinbrach und Norman bis über die Hüfte überschwemmte, strömte nur schwer wieder durch den Papyrus hinaus. Durch Spritzer auf Deck und die Feuchtigkeit von unten waren die Papyrusstengel deutlich angeschwollen, bis sie starken Druck ausübten und alle Reeps und Zwischenräume ausfüllten. Das Boot wirkte deshalb steifer und robuster als zuvor; nur schade, daß es sich so unangenehm nach Steuerbord lehnte. Wir waren alle voller Bewunderung darüber, wie großartig die Ra mit dem Unwetter fertig wurde; als Norman versicherte, wir hätten die Wahl, an Land getrieben zu werden oder das Segel in dem kräftigen Nordwind zu hissen, beschlossen wir einstimmig zu versuchen, das Zweidrittel-Segel mit der neuen, verstärkten Rah aufzuziehen. Selbst Santiago stapfte heraus, und als die volle Besatzung in Aktion war, gelang es uns, das Segel aufzuziehen, und das reparierte Steuerruder achtern in die Wellen zu bringen. Wir durchschnitten die Wellenkämme wie ein fliegender Fisch, vom Land weg. Kurz darauf krachte es erneut, der dicke Schaft des geschienten Steuerruders knickte wie ein Streichholz, und wir konnten nur das Blatt an Bord holen. Aber nun waren die Landratten allmählich eine seetüchtige Mannschaft geworden. Mit einem Tigersprung war Abdullah vorn und packte das richtige Ende des flatternden Segels. Santiago kroch heraus und hakte sich neben ihm fest. Carlo und Juri verschwanden wortlos steuerbord hinter der Hütte und lockerten die Schoten. Georges, nur in Unterhosen, packte ein Ruder und paddelte das Achterende gegen den Wind, während Norman und ich die senkrechten kleinen Ruder korrigierten, bis die Ra ohne Rudergänger wie ein schwerer Fisch vorwärts über die Wellen tanzte. So hielten wir den Rest des Tages den Kurs, ohne daß ein einziges Rohr vom Unwetter beschädigt wurde. Die dicken Bäume außenbords machten uns Schwierigkeiten - nicht das dünne Schilf des Rumpfes.
In der nächsten Nacht ließ der Sturm nach, aber nicht die Wellen. Die größten erreichten eine Höhe von sechs Metern. Die Hütte war nicht mehr symmetrisch, sondern lehnte sich schief gegen die Windseite. Ehe meine Nachtwache begann, kroch ich an Deck, um einen Blick auf das ganze Fahrzeug zu werfen. Als ich unter das Segel kroch, um freie Sicht nach vorn zu haben, blieb mir fast das Herz stehen. Auf Steuerbord lag vor uns, von farbigen Lampen erhellt und blinkenden Lichtern umgeben, ein hoher Leuchtturm. Wir steuerten backbord von der ganzen Anlage und folglich direkt auf Land zu.
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