Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
genauso plötzlich verschwanden, wie sie gekommen waren.
Am vierten Tag war es merklich wärmer, stiller, und die Sonne schaute hinter den Wolken hervor. Lange sahen wir deutlich die blauen Konturen des Kontinents in der Ferne, höckerförmige Hügel. Santiago ging es sehr schlecht, aber Norman fühlte sich viel besser, fieberfrei, und Juri erlaubte ihm, hinauszukriechen und die Sonnenhöhe zu messen. Aber weil wir kein Chronometer an Bord hatten und der Notrufsender nicht länger Radio Safî empfangen konnte, besaßen wir keine ausreichend korrekte Sekundenzeit, um irgendeine zuverlässige Position bestimmen zu können. Dies beunruhigte die beiden in der Hütte, denn Norman glaubte, wir würden es nicht schaffen, die Kanarischen Inseln an der Außenseite zu passieren, da wir immer noch den Kontinent erkennen konnten. Wir trieben in die gefährliche Passage zwischen Fuerteventura und Kap Juby auf dem afrikanischen Festland. Santiago, der als Junge auf den Kanarischen Inseln gelebt hatte, konnte bestätigen, was Normans Nachschlagewerke berichteten: daß Kap Juby der Schrecken aller Seefahrer war, weil es aus einer verräterisch niedrigen Sandbank bestand, die genau dort wie eine Zunge in den gefährlichen Meeresstrom hinausleckte, wo die afrikanische Küste nach Süden abbiegt.
Wir saßen auf dem Segelhaufen und aßen, als wir ein begeistertes Brüllen von dem immer aufmerksamen Abdullah hörten, der bereits sein Essen verschlungen hatte und sich zum Gebet in die Hütte begeben wollte.
»Pferde, Pferde!« Er verbesserte sich: »Flußpferde!«
Wir sahen in die angegebene Richtung, und bald rollten sie wieder herauf; zwei große Wale, die uns mit kleinen schläfrigen Augen anglotzten und durch die Atemlöcher einen Wasserstrahl in die Luft prusteten. So große Flußpferde hatte Abdullah nie im Tschad gesehen, und damit war der Tag für ihn gerettet. Daß es Säugetiere mit Fischschwänzen gab, erschien ihm wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, aber als ein Wal zum Abschied höflich mit dem Schwanz winkte, war Abdullah über den Einfallsreichtum Allahs sprachlos.
Am fünften Tag erwachten wir bei beißend kaltem Nordwind und unruhiger See. Wir zogen all unsere warmen Sachen an, und Abdullah klapperte mit den Zähnen. Fünf Tage lang hatten sich unablässig tückische Meereswellen gegen die Steuerbordseite der Ra geworfen, genau wie wir es berechnet hatten, denn unsere ganze Reise führte durch das Gebiet des Nordpassats. Aus diesem Grund hatten wir die Türöffnung der Hütte entgegengesetzt angebracht, das heißt links oder backbord, wo die Leeseite sein würde. Wir hatten die Hütte und den schwersten Teil der Ladung ganz nahe bei Steuerbord plaziert, damit der Wind, der das große Segel von dieser Seite aufblähte, nicht das Boot umwerfen konnte. Mit allen unseren Beratern stimmten wir darin überein, daß alle Segelboote, um nicht zu kentern, mit der Hauptlast auf der Windseite beladen werden mußten. Bittere Erfahrung lehrte uns schon am fünften Tag, daß sich ein Papyrusboot in dieser Beziehung von allen anderen Booten der Welt unterscheidet. Es ist das einzige Segelboot, das auf Lee am schwersten beladen werden muß, weil der Papyrus auf der Windseite viele Tonnen Meerwasser über der Wasserlinie aufsaugt - hier spülen Wellen und Spritzer unaufhörlich über die Bootsseite -, während alles, was auf Lee über der Wasserlinie liegt, gleich trocken und leicht bleibt. Der Wasserdruck auf der ungeschützten Windseite wird allmählich so groß, daß die Schute sich gegen den Wind lehnt, statt ihm wie erwartet nachzugeben .
Um die Hütte mittschiffs zu versetzen, war es zu spät. Sie war mit soliden Tampen festgebunden, die quer durch den ganzen Boden des Papyrusbootes gingen. Wir räumten alle bewegliche Ladung von Steuerbord nach Backbord, aber es schien nicht zu helfen. Die Rollen steuerbord über der Wasserlinie mußten mehrere Tonnen Seewasser eingesogen haben. Es begleitete uns nun als unsichtbare Last auf der Reise und wog schwerer als die wenigen hundert Kilo Proviant und Trinkwasser, die wir auf die entgegengesetzte Seite räumen konnten. Wir mußten wohl das Meer auf einem Boot überqueren, das sich chronisch gegen den Wind lehnte.
Norman war wieder völlig hergestellt, und während wir die Last auf der anderen Seite verstauten, versuchte er, die widerspenstige Kupferplatte unter Wasser festzubinden, um Funkverbindung und damit die richtige Sekundenzeit zu bekommen. Er hatte allen Grund zu der
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