Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Ein Leuchtturm so weit draußen konnte nur Kap Juby sein. Der Kurs wurde in fieberhafter Eile so weit geändert, wie es ohne Steuerruder ging. Aber nicht genug: Wir schafften es nicht, an der Außenseite vorbeizukommen. Da schienen uns der Leuchtturm und die Häuser von Kap Juby zu merkwürdige Bewegungen zu machen, als daß sie auf einer Sandbank liegen konnten. Bald sausten wir an der Innenseite vorbei. Es war ein großer Ölbohrturm, der vor der afrikanischen Küste im Wasser stand und bis zur Spitze von farbigen Lampen erleuchtet wurde, um Kollisionen mit Flugzeugen zu vermeiden. Wir standen da und starrten. Ich brüllte Georges barsch zu, er solle sich wieder in seinen Schlafsack trollen oder sich anziehen, damit er nicht krank würde.
Am siebten Tag hatten wir immer noch die beiden Drittel des Großsegels oben, und es schien, als würden wir mit einer hohen rollenden Welle, die den gleichen Weg hatte wie wir, in der Strömung um die Wette fahren. Schwere Wolkenmassen wälzten sich zu beiden Seiten der Ra aufeinander zu, aber genau vor uns zeigte sich zwischen beiden Fronten ein schmaler Spalt blauen Himmels. Alles deutete darauf hin, daß die Kanarischen Inseln und der afrikanische Kontinent hinter einer dichten Wolkenwand versteckt lagen und daß sich der blaue Himmelsstreifen zwischen ihnen über dem offenen Meeresschlund erstreckte. Die Ra ließ sich willig genau dorthin steuern. Juris Heilkunst hatte Norman und Santiago auf die Beine gebracht, aber Georges war mit starken Rückenschmerzen ins Bett geschickt worden, nachdem er, halbnackt im eiskalten Nachtwind rudernd, eine falsche Bewegung gemacht hatte.
Abbildung 37a: HOCH OBEN IN DER TAKELAGE. Norman war der einzige Seemann der Expedition.
Abbildung 37b: NIE MEHR EINEN BART nach einem Jahr auf dem Südpol, sagte Juri und brachte den Rasierspiegel an dem gebrochenen Steuerruder an .
Abbildung 38: DER VERSCHMUTZTE ATLANTIK. Die RA lag so tief im Atlantik, daß die Expedition asphaltähnliche Ölklumpen in unendlichen Mengen quer über den Atlantik beobachtete. Das Foto wurde von Georges aufgenommen, der an einem Schlepptau hinterherschwamm .
Abbildung 39a: PAPYRUS ALS SCHWIMMGÜRTEL. Der Ägypter Georges frischt die Kunst der Väter wieder auf .
Abbildung 39b: FREIZEITBESCHÄFTIGUNG. Abdullah lernt von Georges die Schreibkunst: auf Arabisch .
Gegen Mittag zog Carlo die Leinen an, welche die Korbhütte etwas aufrichten sollten, und ich stand auf der Brücke. Da glaubte ich zu meinem Schrecken immer dann im Fernglas grünes Weideland zu erkennen, wenn wir von einem Wellenkamm besonders hoch gehoben wurden. Einen Augenblick später war Carlo in der Mastspitze, gefolgt von Norman. Sie riefen herunter, daß sich eine unbewohnte grüne Ebene parallel zu unserem Kurs erstreckte - höchstens sechs Seemeilen entfernt, vielleicht näher. Wir änderten den Kurs mit aller Macht - in die andere Richtung. Bald kam das Grasland außer Sicht. Das konnten nur die letzten flachen Bänke um Kap Juby gewesen sein, wo die Küste nach Süden schwingt. Jetzt mußten wir die letzte Ecke Afrikas hinter uns haben, denn es war kein Land mehr zu sehen.
Abdullah schlachtete drei Hühner über dem Steuerklotz, damit Carlo unser erstes großes Festessen vorbereiten konnte. Juris Likör war fertig. Es gab viel zu feiern. Erst mußten wir uns einen Leichentrunk auf das /roco-Holz genehmigen: Es war viel zu spröde für ein Steuerruder. Dann mußten wir einen Becher auf das Papyrusschilf leeren: Es war fabelhaftes Bootsbaumaterial. Wir hatten nun den 31. Mai, und der Papyrus lag seit fünfzehn Tagen im Wasser, ohne zu faulen, ohne sich aufzulösen. Im Gegenteil, er war stärker und geschmeidiger als je zuvor. Wir hatten keinen einzigen Halm verloren. In einer Woche waren wir von Safî nach Kap Juby gefahren - das war weiter als von der Nilmündung nach Byblos im Reiche der Phönizier, genauso weit wie von Ägypten nach der Türkei. Also war schon bewiesen, daß die Ägypter ihren Papyrus ohne die Hilfe fremder Holzschiffe an jeden Ort an der Küste Kleinasiens hätten liefern können.
Skäl Norman! Skäl Juri! Skäl Jungens! Skäl Neptun und alle Flußpferde Abdullahs! Safî saß zwischen uns auf dem Hühnerkäfig und trank aus einer frisch geöffneten Kokosnuß.
Da hörte ich jemanden von »weißen Häusern« babbeln und sprang auf die Beine, um nachzusehen. Georges lag in der Hüttenöffnung auf dem Bauch und zeigte in die Richtung, wo wir die flachen Bänke hatten verschwinden
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