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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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weinen konnte. Dinge, an denen die Jahre spurlos vorüber­glitten, bevölkerten mein Zimmer wie totes, buntes Laub. Nichts verschwand, nichts verweste. Eine Masse träges Zeug, stumm und dumm, steht herum und erinnert mich an meine Einsamkeit.
    Ein Raum voller Qualitätserzeugnisse: 100%ige Stoffe, handgeknüpfte Teppiche, teure Holz- und Steifftierchen, eine Flöte aus Silber, ein empfindliches Piano. Das war der Ort, an den ich zurückkehren würde. Aber es war auch der Ort, für den ich nichts konnte, den ich mir nicht ausgesucht hatte, und auf den ich verzichten wollte für ein Leben als Piratenbraut.
    In der Centennial hatten sie keine genaue Vorstellung von meiner Herkunft, gespürt haben sie sie dennoch. Fast schien es, als könnten sie den fetten Braten, der zu Hause auf mich wartete, auch über den Ozean hinweg wittern. Ich war nicht wirklich eine von ihnen, ich blieb eine Fremde.
    Tagtäglich kämpfte ich gegen das Misstrauen an, das sie mir spontan und instinktiv entgegenbrachten, ließ keine Gelegenheit aus, um meine Loyalität und Treue unter Beweis zu stellen. Vor aller Augen lieferte ich mir erbitterte Telefonstreits mit meinen Eltern, schimpfte und schrie dabei besonders laut »Scheiße«, das einzige deutsche Schimpfwort, das meine Mitbewohner kannten. Mit jeder Faser meines Körpers wollte ich ihnen deutlich machen, dass es mir ernst und ich dabei war, meine dekadente Vergangenheit abzustreifen.
    Ich hatte mich von meinem Gestern abgelöst, klammerte mich an ein mintgrünes Holzstück und trieb durch mein Leben. Laut rief ich ihre Namen übers Wasser; Namen von Brüdern, die ich bisher nie gehabt hatte.
    Ich glaubte fest an die blutsbrüderliche Freundschaft und daran, dass auch ich mich in einer Gemeinschaft geborgen fühlen könnte. Alles nur eine Frage der Zeit, der Umstände und des aufrichtigen Bemühens, redete ich mir ein. Das Familienfoto, das ich mir aus den Gesichtern der Jungs zusammenpuzzelte, war eine Fata Morgana, weiter nichts. Die Enttäuschung schimmerte hindurch wie Haut durch Nylonstrümpfe. Trotzdem hielt ich daran fest und fuhr stur fort, die Konturen meiner Umgebung abzuschleifen, Eindrücke zurechtzurücken, Charakterzüge auszubessern, anzupassen, hinzuzudichten. Mit größter Hingabe bearbeitete ich die Puzzle­teilchen und sehnte die Momente herbei, in denen ich mich einfügen konnte, endlich nicht mehr fremd war, sondern passte, haargenau passte.
    Doch all meine Anstrengungen konnten die ernüchternde Wahrnehmung der Realität nicht verhindern. Es schmeckte, es roch, ja es stank geradezu immer stärker nach Einzelkämpfern, fühlte sich einsam an und klang verlogen. Zwei Hände reichen nicht aus, um fünf Sinne zu versiegeln.
    Waren wir wirklich nicht mehr als eine Zweckgemeinschaft aus Fremden, gegründet, um ein Dach über dem Kopf und ausreichend Grasvorräte zu haben? Ein loser Verbund chronisch Gelangweilter, die sich ablenken und gegenseitig zur Politur des eigenen Egos benutzen wollten?
    Vielleicht.
    Jeder existiert für sich, Gedanken bleiben privat, abgesondert durch Schädelplatten, es gibt keine Verschmelzung. Es kann keinen Blutsbruder geben, keine Vermischung, kein Ineinanderfließen und keine Einheit. Ich hatte mich in eine Idee verbissen, wollte an Wahlfreiheit und Wahlverwandtschaft glauben. Mein Glaube entpuppte sich als substanzloser Irrtum, ein Schnappen ins Nichts. Zähneknirschend, hungrig den eigenen Schmelz abreibend, musste ich einsehen, dass Geld geprägte Freiheit und Familie Unfreiheit durch Prägung bedeuteten.

25.
    Es ist Nachmittag. Aus Langeweile falte ich Kleidungsstücke, baue Türme aus Stoff. Schicht um Schicht, Kante auf Kante, staple ich Hosen, T-Shirts und Pullover zu bunten Baumkuchen, die ich zu Füßen des Schranks anrichte. Hinter der ausgehängten Schranktür baumeln zwei einsame Kleiderbügel über meinem Koffer. Im Koffer­ inneren vermischen sich Unterwäsche und anderer, mehr oder weniger privater Kram – Fotos, Zettel, Tampons, Reisepass, ein in Plastik eingeschweißtes Bild der heiligen Elisabeth, das mir meine Großmutter vor der Abreise in die Hand gedrückt hat, Briefe von meinen Eltern, mein Oxford Learners Dictionary usw. Die Welt zwischen Deckel und Boden ist klein und kastenförmig. Eine Ummantelung aus Leder schützt ihre Intimsphäre. Wer in einem Zimmer mit unverschließbarer Tür lebt, muss sorgfältig auswählen, das Schützenswerte und Peinliche auf ein Minimum reduzieren. Das Fassungsvermögen eines Tresors

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